Tiefe Stegkerbe - Klangeinbußen? < | Auf ein Neues: Wies-Orchersterwochen 2016 | > Heinrich Gill Geigen |
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Zweimal hatte ich jetzt schon das Vergnügen, 2014 und 2015. Und auch dieses Jahr gibt es die Wieswochen wieder, 5 verschiedene, jede einzelnd als "Ferien" buchbar. Ich selbst werde wieder an der Wies-5 teilnehmen - sie ist auch schon in der 'Zum-Mitspielen-Rubrik' des Forums aufgelistet. Das Programm hänge ich auch noch einmal als PDF an. Vielleicht hat ja der eine oder andere auch noch Lust:
Ich selbst will mir selbst diesmal weniger Stress bereiten, als ich es mir beim letzten Mal selbst bereitet habe. Das ist mein Ziel: mehr Musik, weniger Overhead. Jedenfalls habe ich ganz ernsthaft das Jahr über darauf hingeübt: Mit Etüden für die Technik und Heften für das 'Vom-Blattspielen'. Das Mitmachen - auch vorne - sollte mir diesmal leichter fallen. Dann werde ich zufrieden sein.
Auf denn also: vielleicht sehe ich ja die eine oder andere (Männer sind mitgemeint) von Euch im August:
Nun laufen sie also wieder, die Musikwochen der WGM in Wies. Die erste ist rum; die zweite hat begonnen; und "meine", die fünfte Wieswoche steht 3 Wochen an. Noten und Teilnehmerliste haben wir erhalten. Es wird ein richtig kräftiges Orchester: 25 Streicher, 8 Holzbläser, 6 Blechbläser. Passend für die 1. Symphonie von Tschaikowksi, das Elgar Cellokonzert und ein Richter Flötenkonzert. Für kurzentschlossene wird aber sicher noch Platz sein. Ich hoffe ja immer noch, einmal einen Forianer dort zu treffen. Jedenfalls werde ich - wie erbeten - auch dieses Jahr wieder kurz Zwischenberichte online stellen.
Etwas wird aber anders sein als in den vergangenen Jahren. Wir werden das Konzert in der Wieskirch schon am vorletzen Tag spielen. Dafür sollte es - wenn ich mich recht erinnere - am letzten Tag ein hausinternes Konzert mit all der erarbeiteten Kammermusik geben. Bei dieser Struktur wird es jedoch nicht so leicht sein, die Spannung zu halten. Ich bin gespannt, wie das klappt.
Ich selbst will diesmal nicht nur kürzer treten, sondern kurz. Bei mir steht nichts Besonderes auf dem Plan, ich habe keine Kammermusik vorbreitet, mich nicht verabredet und auch keine Stimmen geübt. Zur Vorbereitung habe ich seit dem Ende der letzten Wies nur das 'vom Blatt spielen' trainiert. Ich hoffe so, eine entspanntere, stressfreiere Woche hinzukriegen - selbst wenn Burkard und ich uns ja schon verabredet hatten, auch diesmal wieder das erste Pult der 2. Geigen zu übernehmen. Allerdings: Es gibt neue Namen auf der Liste. Und neue Namen bedeutet neue Kandidaten. Zwei Seelen wohnen da in meiner Brust: Vorne spielen ist irre, man ist so direkt dabei. Ein echtes Privileg. Vorne spielen geht aber kaum entspannt. Man hat da eine besondere Verantwortung. Schau'n wir also mal, wie sich das entwickelt.
Eins habe ich - ich will es gestehen - aber doch vorbereitet. Es gehört in den Wochen dazu, dass man morgens von Mitmusikanten geweckt wird. Die Gelegenheit für erste Probenauftritte, sozusagen. Natürlich ist das Angebot am ersten Morgen eher dünn. Also werde ich - heimlich und unerkannt - diesmal die ersten 4 Sätze aus der Partita D-Moll von Bach dazu benutzen. Wenn alle noch pennen und eh nix davon wissen, sollte sich meine vermaldeite Zitteraufregung in Grenzen halten - hoffe ich. Was natürlich nur klappt, wenn das unter uns bleibt ...
Tja, erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.
Eins jedoch ist gleich geblieben: das Internet funktioniert noch immer nur sehr dürftig - in der Landvolkshochschule Wies. An ein tageweises Bloggen - in Echtzeit sozusagen - ist Mangels Stabilität der Connectivity nicht zu denken. Deshalb nun der Reihe nach entlang meiner Vorortnotizen:
DI 16.08: Anreisetag
Diesmal ist mir schon beim ersten Abendessen alles vertraut. Und das eine oder andere unerwartet herzliche Wiedersehen rührt mich dann doch sehr. Abends dann das erste Mal Tschaikowski. Meine Strategie geht auf: obwohl ich die Noten zum ersten Mal sehe, komme ich doch besser mit und durch als letztes Jahr mit tausendfachem Vorüben. Meine Vom-Blattspiel-Übungen wirken. Das werde ich ausbauen.
MI 17.08: der erste ernste Tag
Heute übernehme ich das musikalische Wecken im Flur. Gut gedacht: wenn alle noch schlafen und wenn sich jeder lieber die Decke noch einmal über den Kopf zieht, kann ich es wagen, entspannt meinen Bach zu spielen: Hört ja eh
keiner wirklich zu. Kaum angefangen, kommt allerdings Anne die Treppe hoch. Kurz danach öffnen zwei junge Geigerinnen ihre Tür. Das war's dann mit der Gelassenheit. Toller Plan! Den ersten Satz kriege ich noch durch, den zweiten - ein Stockwerk tiefer - muss ich aus Flattergründen abbrechen. Aber ich fange mich: der 3. im anderen Gebäudeteil wird ganz gut, den 4. bewältige ich anständig und - ganz zuletzt - wiederhole ich im Nebengebäude den 3. Satz. Den kriege ich endlich auf der Höhe meiner Möglichkeiten hin. Es ist schon toll, dass man sich hier so ausprobieren kann.
Tagsüber gibt es dann die erste Probe des Elgarcellokonzertes. Was für ein wunderbares Stück Musik - und wirklich toll gespielt von Jakon Schaetz. Große Hochachtung: Er kann sein Können wirklich abrufen. Er spielt frei. Das wird ein toller Programmpunkt!
DO 18.08: der Beginn der Routine
Nun sind wir im Rhythmus, in dem der Tagsplanung. An dem der Musik feilen wir noch. Z.B. bei der Richterprobe. Eklige Dreiklangsbrechungen im Zack-Zack-Tempo. Mir graust es. Und die "kleinen" hinter mir in der zweiten und dritten Reihe kriegen das alles so gut hin. Ok. Da muss ich durch. Das einzige, was ich zum Gelingen beitragen kann, ist, ansonsten nicht zu wackeln.
Wenigstens geht meine Strategie in Sachen Kammermusik auf. Diesmal sind wir von der Leiterin schon vorab zu Quartetten zusammengestellt und mit Literatur versorgt worden. Also keine langen Orga-Sessions. Es ist Boccherini 33,6 (um auch mal den Insiderslang zu bemühen ;-) ). Ich spiele gewollt die 2. Violine: bloß kein Stress. Es funktioniert. Nur unser Sound ist - sagen wir mal - etwas ausbaufähig...
Abends dann unsere erste Karl Jenkins Probe. Ein nettes Stück. Sehr wirkungsvoll und technisch nicht so anspruchsvoll - jedenfalls für die Nicht-Bläser. Dass die Bläser richtig zu rödeln haben, wird vielen erst im Laufe der Tage klar.
Ein längeres Gespräch mit Burkard - am Abend in der Bierstube - wirft dann auch mir mein NO-Stress Vorhaben über den Haufen.
FR 19.08: Der freie Nachmittag
Er hat ja recht! Freundlicherweise hat er die ganze Leitung der Quartettproben übernommen, hat uns - als ausgebildeter Organist - sogar eine elektronische Play-Along-Version erstellt und kämpft sich selbst durch die 1. Violine. Und ich? Bloß kein Stress. Das ist in der Tat nicht ganz fair. Also teilen wir uns die Sache jetzt. Im 4. Satz spiele ich vorne.
Und habe damit ein volles Pogramm für den freien Nachmittag! Den gibt es jedes Jahr in der Wochenmitte. Und die meisten ziehen los, lassen Musik Musik sein und genießen Landschaft und Dörfer. Bisher bin ich da immer länger gejoggt. Nun gut: heuer - wie der Bayer sagt - muss ich üben: Den Richter. Und vor allem: 4. Satz Boccherini.
SA 20.08: Es wird ernst
Es bleibt dabei: Beim Richter muss ich mich durchschummeln. Der wird morgen zum Gottesdienst in der Wieskirche gespielt. Ich kriege diese Stellen bis dahin nicht hin. Das ist nicht schön, aber es ist so. Grrr. Und auch beim Tschaikowski kristallieren sich haklige Stellen raus. Ich sage nur: Takt 181. Und mein altes Problem taucht auch wieder auf. So wie ich (vermeintlich) alleine hörbar bin, kommt das Zittern. Rhythmisch ist die Stelle eigentlich 'PiPi'. Technisch auch. Und trotzdem versäge ich es, jedesmal. Ärgerlich!
SO 21.08: Der Gottesdienst
Nun, der Richter klappt wie geplant: Über diese ekligen Dreiklangsbrechungen husche ich mich hinweg. Der verwaschende Akkustik erleichtert das, hoffe ich. Unser 2. Geigen Teamplay unterstütze ich trotzdem, meine ich: Wir können nicht nach Gehör zusammenspielen. Zuviel Hall. Also hilft es, wenn jemand mutig genau nach Schlag spielt, bilde ich mir ein. Jedenfalls wackeln wir nicht. Und es wird keine Zitterpartie - was auf mich bezogen erstaunlich ist.
MO 22.08: Das Konzert und Festmenue
Nun der Konzerttag! Morgens die Generalprobe, abends der Ernstfall. Der Tschaikowski - wir spielen den 4. Satz - bleibt grenzwertig, der Jenkins eine Konzentrationsfrage und der Elgar ein Genuss. Offensichtlich bin ich nicht der einzige, der das so sieht. Um 14:30 wird überraschend noch eine 'Stellenübestunde' für die Streicher angesetzt. Wir sprechen die Einsätze der Fuge! Genau: nicht besprechen, sondern sprechen: "Heut gibt's Tschaikowski, - das ist ja wunderbar, - das ist ja wunderbar". Coole Sache. Spaßig. Und das kurz vor dem Konzert.
Und um 17:00 gilt es: Es beginnt mit dem Kinderchor. Das wirkt immer. Zumal, wenn sie so gut vorbereitet und präsentiert werden. Die haben echt Spaß. Dann kommt das Brahmsnonett. Alle Mitspieler haben geunkt: oi oi oi. Und geworden ist es dann sehr ordentlich. Danach ist das Cellokonzert dran. Auch jetzt wirklich tolle Musik, toll gespielt von Jakob. Sahne. Danach zum ersten Mal der Chor. Im Kreis positioniert, um die Kirchenbänke herum. Mit einem 'Ubi Caritas' acappella. Wirklich berückend schön. Gänsehaut pur.
Und nun unser Tschaikowski. Ich kann nicht sagen, wie es ist. Ich bin völlig neben der Kappe. Schon vor Takt 181. Zitternd denke ich an Takt 181. Und nachdem ich die Stelle entsprechend schmeiße, wird Rest bis kurz vor die Coda ebenfalls eine echte Zitterpartie. So mag ich es nicht. So mag ich nicht spielen. So mag ich mein Spiel nicht.
Beim Jenkins allerdings sind wir wieder ein Team von zweiten Geigen in einem Orchester. Hier tragen wir uns gegenseitig durch das Werk. Ein guter Spirit. Dank an alle.
Abends wird alles noch bei einem tollen Bankett diskutiert, bejubelt, beweint, und wieder beschworen. Eine gute Stimmung.
DI 23.08: Der Nachklang
Diesmal gibt es also einen Tag danach. Er soll den Kammermusikaktivitäten dienen. Ein bunter Konzert-Für-Uns-Abend, mit einem ernsten und einem humorvollen Teil. Wir üben tagsüber unser Boccheriniquartett. Allerdings heißt es dann - ein halbe Stunden vor Probenende -, man müsse kürzen, zu viele zu lange Beiträge. Das Team entscheidet, nur den 4. Satz zu spielen, er wirke am besten. Wir spielen also den Satz, den wir am wenigsten geübt haben. Dabei hatten wir es uns so gut gedacht: erst zwei Sätze schön smooth zum Einspielen und dann mit Schwung in den schnellen. Jetzt also 'Pustekuchen': Es geht gleich los mit diesem halsbrecherischen Kram. Den leider ich spielen muss, ohne Einschwungphase. Kein Wunder, dass ich mit dieser organisatorischen 'Überraschung' nicht wirklich d'accord bin. Das hätten die Organisatoren früher absehen können. Es ist bisher noch jedes Mal eine Fülle an Beiträgen zusammengekommen. Da hätten sie schon viel früher steuernd eingreifen können. Allerdings: letztlich hätten auch wir uns selbst fokussieren können. Diese Irritation geht also auch auf unser eigenes Konto. Nächstes Mal machen wir das von uns aus besser.
Abends kommt es natürlich, wie es kommen muss: mich packt wieder das Zittern. Ich versäble die Stellen. Trotz intensivem Play-Along-Üben über 5 Tage. Unschön. Aber immerhin: wir kommen nicht raus, die Dynamik kriegen wir gut hin, und am Ende gelingen es recht schön klingende Passagen. Nur richtig zufrieden macht mich das nicht.
Und im zweiten Teil spielen wir dann doch noch mit unserem Streichquartett unsere undercover geübten Barbshop- und Beatlesätze. Die laufen. Nett.
MI 24.08: Abreise und höhere Warte
Verabschiedet haben wir uns - in sozusagen gewohnter - Intimität. Für mich war dieses Jahr der menschliche Kontakt das wirklich Herausragende. Musik und Musizieren bringt die Leute eben zusammen, Leid und Freude. Und besonders, wenn sich alle auf so einen Prozess einlassen. Jedenfalls ist das völlige Abtauchen in eine andere Welt eine wirkliche Erholung. Selbst, wenn man - wie ich - zuhause etwas gedämpft ankommt. Ich möchte gerne auf höherem Niveau spielen, und vor allem stabiler! Wie kriegt man es bloß verlässlich hin, das eigene Können abrufen zu können? Wie auch immer- in dem Jahr zwischen dieser und der nächste Wieswoche werde ich daran etwas tun.
Lieber P.
das ist ja schön, auf dem nun schon gewohnten Wege von dir über die Wies 5 informiert zu werden. Ich war in diesem Jahr auf Abwegen beim Folkloretanz in Frankreich. Aber ich habe eurer gedacht. Und dein Bericht klingt, als wäre es reich und intensiv an schönen Momenten - nicht nur den musikalischen - gewesen. Danke für deine Schilderung. Das weckt nette Erinnerungen...
Hallo peerceval, auch von mir vielen Dank für Deinen Bericht!
Ich lese immer wieder gerne, was in nicht mal einer Woche "from scratch" alles möglich ist, wie sich zum Schluss doch alles zusammenfügt, das Ganze unterm Strich eine große Bereicherung ist und dass es die Welt nicht gleich aus den Angeln hebt, wenn nicht alles wie erhofft klappt. Und, als Leidensgenossin in Sachen Nerven bist Du für mich ein echtes Vorbild, wenn ich lese, wie Du doch in den letzten zwei Jahren "gewachsen" bist. Ich ärgere mich ständig und bin regelmäßig richtig unglücklich darüber, dass ich mein Können in Stressituationen nicht richtig abrufen kann, und versuche das durch noch effektiveres Üben und Routine zu verbessern - in der Überzeugung, dass Nikolaus Harnoncourt recht hatte, als er sinngemäß sagte, zufrieden sein heiße nur, dass man sein Ziel nicht hoch genug gesteckt habe. Heuer warst Du schon ein gutes Stück weiter als letztes Jahr, letztes Jahr weiter als im Jahr davor - und nächstes Jahr wirst du wieder mit dem ein oder anderen unzufrieden, aber objektiv wieder ein Stück weiter sein. Und wer weiß, vielleicht laufen wir uns tatsächlich mal musikalisch über den Weg.
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