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Reine vs. pythagoreische Stimmung

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Halestorm Profilseite von Halestorm, 05.03.2016, 16:17:20
Reine vs. pythagoreische Stimmung

Hallo alle zusammen,


ich habe mich in letzter Zeit vermehrt mit den verschiedenen Stimmungen in der Musik auseinander gesetzt und habe dabei dieses Video von Sassmannhaus gefunden, welcher ja viel didaktisches Material für Streichinstrumente erstellt hat.

 

https://www.youtube.com/watch?v=QaYOwIIvgHg


In dem Video sagt er, dass auf der Geige hauptsächlich in der pythagoreischen Stimmung gespielt wird (bis auf ein paar Ausnahmen). Das hat mich sehr gewundert, denn ich habe es immer so gelernt, dass auf der Geige gänzlich rein* gespielt wird (widerum mit ein paar situativen Ausnahmen) und die pythagoreische Stimmung eher ein Relikt aus der Vergangenheit ist, welches nur ab und an aus Gründen der Authentizität bei der Aufführung von Musikstücken verwendet wird, die aus Epochen mit häufiger Verwendung dieser Stimmung stammen.


Könnt ihr mir sagen, was stimmt? Vielleicht habe ich es falsch verstanden, als man mir gesagt hat, das Geigenspiel verwendet (außer in bestimmten Fällen wie z.B. mit Klavierbegleitung oder Mehrstimmigkeit) die reine Stimmung. Die pythagoreische Stimmung scheint ja reine Quinten und Quarten zu benutzen (während die anderen Intervalle sich unterscheiden), sodass ich hier vielleicht etwas durcheinander geworfen habe. Auf der anderen Seite ist der Begriff der pythagoreischen Stimmung bei mir im Unterricht und auch sonst wo nie gefallen (außer im theoretisch-historischen Kontext) und auch Wkipedia sagt, dass die reine Stimmung heute bei Streichern verwendet wird und die pythagoreische wie gesagt als historische Aufführpraxis wiederbelebt wird. Trotzdem erscheint es mir seltsam, dass jemand wie Sassmannhaus, der sich doch eigentlich so sehr mit Streichinstrumenten auskennt, eine ganz andere Stimmung anpreist als mir scheinbar gängig ist.


*Disclaimer: Ich weiß, bzw. so wurde es mir beigebracht, dass man auch auf der Geige nicht wirklich rein spielen kann, da man sich ja an den leeren Saiten orientiert. Bei einer Reihe von reinen Ganztönen und Halbtönen von z.B. „a“ zu „d“ würde aber ja schon ein anderes „d“ herauskommen als bei der direkten reinen Quarte von „a“ zu „d“ und spielt man dann von dem „d“ aus dem ersten Beispiel eine reine Quarte runter, hat man schon nicht mehr das originale „a“ usw., sodass sich alles immer weiter verschiebt und man am Ende eines Stückes nicht mehr bei den gleichen Tönen/Frequenzen wie am Anfang herauskommt, wenn man nicht irgendwo temperiert, um wieder auf die Töne der offenen Saiten zu kommen.


Aber ich dachte, man versucht zumindest sich, wann immer es geht, an den reinen Intervallen, also auch den reinen Terzen, Sekunden usw. zu orientieren.
 


Vielen Dank und viele Grüße
 
Halestorm

 


(Nebenfrage: Es gibt in der reinen Stimmung ja sowohl einen großen und einen kleinen Ganzton, als auch einen großen und kleinen chromatischen Halbton und dazu noch einen diatonischen Halbton. Das hat mich immer verwirrt. Wann verwendet man gängigerweise welche Halbtöne bzw. welche Ganztöne, falls es dazu eine allgemein anerkannte Einigung gibt? Ich tendiere dazu, z.B. automatisch fast nur den großen Ganzton zu spielen.)
 
 
 

Linde Profilseite von Linde, 05.03.2016, 17:39:25
http://www.pian-e-forte.de/texte/01inton.htm

Schau mal hier!
Liebe Grüße
Linde
Halestorm Profilseite von Halestorm, 05.03.2016, 18:16:27

Hey Linde!

 

Vielen Dank für den Link! Ich kannte den Text schon; auf ihn bezieht sich mein Disclaimer. :)

Aber es ist zweifelsohne bisher mMn der beste Text zu diesem Thema.

Ich hab darin aber nichts zur pythagoreischen Stimmung gefunden (und auch nichts bezüglich der Nebenfrage, wie es mit den verschiedenen Halb- und Ganztönen aussieht). Gerade weil ich den Text kannte, fand ich die Aussagen von Sassmannhaus sehr ungewohnt, speziell die pythagoreische Intonation als Norm darzustellen.

minuetto Profilseite von minuetto, 05.03.2016, 19:37:43
Lieber Halestorm,
hier ein link (http://imslp.nl/imglnks/usimg/0/02/IMSLP33930 ... 5.ec42-39087009905169score.pdf) zu einer Einführung in die Doppelgriffe von Bloch; ab Seite 47 (Anhang) gibt Bloch ein paar theoretische Erklärungen, mir scheint, die eine oder andere Deiner Fragen wird da behandelt. Leider ist die Druckqualität nicht besonders gut.
Deine Nebenfrage hab ich nicht ganz verstanden.
Gruß, minuetto.
Halestorm Profilseite von Halestorm, 05.03.2016, 20:45:06

Hallo minuetto,

 

vielen Dank für die PDF. Das scheint eine sehr gute Ressource zu sein. Ich hab sie bisher nur überflogen, weil sie doch sehr umfangreich ist, aber auf S.53 heißt es, dass die pythagoreische und die temperierte Stimmung nur Notmaßnahmen sind und wo immer es geht, die reine Stimmung verwendet wird. So hatte ich es mir auch gedacht, weshalb mich die Aussage von Sassmannhaus so verdutzt hat.

Vielen Dank dafür, das war sehr hilfreich! :)

 

Meine Nebenfrage bezog sich darauf, dass es in der reinen Intonation zwei verschiedene Ganztöne (kleinen und großen Ganzton) und drei verschiedene Halbtöne gibt (kleinen und großen chromatischen Halbton + diatonischen Halbton) gibt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Intervall_%28Musik%29#Tabelle_von_Intervallen

Ich wollte wissen, welcher Halbton/Ganzton beim Geigenspiel gängig ist, d.h. wie ich einen Halbton und Ganzton intonieren soll, wenn sie auf meinem Notenblatt auftauchen, da es ja mehrere Möglichkeiten gibt, diese rein zu intonieren bzw. ob es bestimmte "Regeln" oder Geschmackskonventionen gibt, wann welcher Ganzton/Halbton eingesetzt wird.

minuetto Profilseite von minuetto, 05.03.2016, 21:19:17
Lieber Halestorm,
nützliche Hinweise zu dieser Frage findest Du bei Wikipedia unter Chromatik --> https://de.wikipedia.org/wiki/Chromatik (unter diatonische und chromatische Tonstufen im Notenbild).
Entscheidend ist die Frage, ob ein gegebener Ton leitereigen ist oder nicht (es ist also nicht nur reine Geschmackskonvention;
die Differenz ist jedoch lediglich ein Komma, diesen feinen Unterschied können (leider) die wenigsten von uns wirklich gut hören
- Menschen, die nicht das absolute Gehör haben können diesen Unterschied vermutlich noch am ehesten bei (nicht divisi gespielten) Doppelgriffen wahrnehmen).
Gruß, minuetto

 

Tommok Profilseite von Tommok, 06.03.2016, 15:18:23

Lieber Halestorm,

 

ich glaube dass die Begriffe "pythagoräisch" oder "rein" bei der Frage nach Intonation auf der Geige nicht wirklich weiterhelfen.

 

Die Antwort, wo ein Ton hin "intoniert" werden muss, ist ein eindeutiges "es kommt darauf an". Dabei kommt es auf diverse Faktoren an, und die Frage lässt sich ganz sicher nicht im Rahmen einer einzigen bestimmten Temperatur beantworten.

 

Eine Rolle spielt zum Beispiel, mit wem Du gemeinsam musizierst. Ist es ein Klavier, muss die Intonation eher gleichschwebend gedacht sein, jedenfalls an den Stellen, wo Töne mit dem Klavier zusammen musiziert werden. Spielt das Klavier gar nicht, oder z.B. eine offene Quinte und Du die Terz, ist es wieder anders (die Durterz muss dann tiefer, die Mollterz höher als gleichschwebend intoniert werden).

 

Spielst Du mit anderen Streichern oder auch Bläsern zusammen, würde man alle Zusammenklänge möglichst rein intonieren, d.h. jeden Ton so, wie der gerade am besten in den Akkord passt. Man würde sich in der Regel am (dann am ehesten gleichschwebend platzierten) Grundton des jeweiligen Akkordes orientieren, aber auch das kommt wieder ins Wackeln und muss anders gedacht werden, wenn z.B. Orgelpunkte im Spiel sind.

 

Eine Rolle spielt außerdem, ob mit Vibrato gearbeitet wird (und wenn ja: mit wieviel und was für Vibrato), ob man in Streichergruppen-Kontexten oder als Solostreicher agiert usw.

 

Ich glaube wenn man dem Kind einen Namen geben will, kommt die relativ neue Hermode-Temperatur der Sache am nächsten:

 

http://www.hermode.com/index_de.html

 

Dies ist eine dynamische Temperatur, d.h. in den Beispielfällen ermittelt ein Computer den jeweiligen harmonischen Kontext und verstimmt alle Töne entsprechend, um wirklich "reine" Intonation zu erzeugen, z.B. auf Synthesizern oder auch auf mechanisch verstimmbaren Orgeln.

 

Was am Computer beeindruckend aussieht, ist letztlich eine Kodierung für das, was jeder Musiker im Ensemble oder auch alleine schon seit je her macht, nämlich situativ intonieren.

 

Das absolute Gehör hilft übrigens überhaupt nicht bei der Steuerung oder Analyse von Intonation, ich stelle mir vor, dass es in bestimmten Situationen eher erschwerend wirkt.

 

Gruß Tommok

Neuester Beitrag Sysopa Profilseite von Sysopa, 09.05.2016, 14:55:09

"...Das absolute Gehör hilft übrigens überhaupt nicht bei der Steuerung oder Analyse von Intonation, ich stelle mir vor, dass es in bestimmten Situationen eher erschwerend wirkt..."

 

Ich glaube, dass das ein sehr guter und wichtiger Hinweis ist. Obwohl ich mich selbst noch weit entfernt vom absoluten Gehör sehe, merke ich, dass ich mit einer (in sich sauber) zu tief oder hoch gestimmten Geige Probleme mit der Intonation bekomme... nein, eigentlich nicht Probleme... eher eine Art... "unwohl fühlen" - schwer zu erklären...

 

 

Liebe Grüße

Thomas

Halestorm Profilseite von Halestorm, 06.03.2016, 20:59:30

Hallo minuetto,

 

vielen Dank. Ich werd mir den Artikel zur Chromatik durchlesen. Das war mir vorher noch gar nicht bekannt!

 

 

@ Tommok

 

Das ist sehr interessant. Von der Hermode-Technick hab ich bisher noch nie gehört.

Es klingt aber so, dass versucht wird, so nah wie möglich an die Reinheit zu kommen, wohlwissend, dass realistisch Abstriche gemacht werden müssen und immer der bestmöglichste Kompromiss gesucht wird, so wie ich es vor dem Video auch verstanden hatte.

Ich werd das Video von Sassmannhaus dann einfach erstmal so stehenlassen und mich nicht weiter damit beschäftigen.

 

Orientiert man sich bei Akkorden, die man im Streichquartet rein spielen möchte,  kategorisch eher am Grundton und passt dann den obersten Ton an (so dass der mittlere Ton ein reines Intervall und der oberste Ton ein temperiertes Intervall darstellt) oder ist das auch wieder situativ, sodass in anderen Fällen vorzugsweise der zweite Ton temperiert wird? (Man merkt wohl, die Tatsache, dass man nicht einfach klare Regeln formulieren kann, überfordert mich etwas.)
Beim Klavier verstehe ich, dass man bei einer von ihm gespielten Quinte nur den mittleren Ton anpassen kann, aber ich frage mich, wie man in einem Streichquartett einen Akkord möglichst rein spielt. (100% rein geht ja nicht, weil der dritte Ton immer nur zu einem Ton rein sein kann und daher für diesen ein Kompromis gefunden werden muss?)

 

Soweit jedoch vielen Dank!

Tommok Profilseite von Tommok, 07.03.2016, 08:20:11

Lieber Halestorm,

 

ich glaube Du missverstehst irgend etwas. Selbstverständlich gibt es völlig reine Akkorde. Nimm ein Beispiel: a-moll Grundstellung

 

440Hz Grundton
528Hz kleine Terz (Grundton *6/5)
660Hz Quinte (wahlweise reine Quinte vom Grundton (440*3/2) oder reine große Terz von der kleinen Terz (528*5/4)

 

Das ergibt einen völlig reinen Akkord ohne jeden Kompromiss, und genau mit solchen Akkorden arbeitet Hermode. Und damit arbeitet eben auch, möglichst intuitiv, ein Streichquartett oder sonstiges Ensemble.

Diese Regeln sind relativ klar. etwas weniger klar, ist immer die Frage, woran man sich orientiert.

 

Normalerweise (nicht "kategorisch" wird das der Grundton des Akkordes sein. In anderen Situationen kann es auch der tiefste Ton sein, in wieder anderen Situationen kann oder muss es der dauerhaft liegenbleibende Ton sein (Beispiel Orgelpunkt).

Einen liegenbleibenden Ton wird man nicht verändern wollen, wenn sich der Akkord ändert, und hier wären Konstruktionen denkbar, z.B. Durterz bleibt liegen und wird zum Grundton des neuen Durakkords, dann bleibt davon die Durterz liegen usw., bis man nach relativ kurzer Zeit in einer absurd tiefen Stimmung landet. Ein Streichquartett-Spieler würde den liegenbleibenden Ton langsam und unauffällig jeweils hochschrauben, wie Hermode das löst, weiß ich gerade nicht (möglicherweise werden da DOCH liegende Töne bei Akkordwechseln verändert, aber das müsste man mal ausprobieren).

 

Gruß Tommok

Halestorm Profilseite von Halestorm, 07.03.2016, 14:24:23

Hallo Tommok,

 

ja, das habe ich tatsächlich missverstanden. Ich hatte es fälschlicherweise so aufgefasst, dass der letzte Ton nur zu einem Ton, also entweder zum Grundton oder zur kleinen Terz (um bei deinem Beispiel zu bleiben) rein sein kann, weil reine Intervalle, soweit mir bekannt war, nicht ineinander aufgehen.

Daher konnte ich mit dem Begriff "reiner Akkord" nicht viel anfangen und dachte, es hieße, dass sich der letzte Ton als Kompromis gespielt wird. Ich hatte das irgendwo mal gelesen, kann aber gut sein, dass ich das missverstanden oder mit etwas durcheinander geworfen habe. Vielen Dank für die Klarstellung!

 

Das Thema ist doch sehr komplex, aber ich möchte es gerne verstehen, um ein gutes Gehör zu entwickeln.

 

Viele Grüße

 

Halestorm

peerceval Profilseite von peerceval, 13.03.2016, 10:05:52

Letztlich geht es bei diesem Thema nicht so sehr ums Gehör oder um die Stimmung, sondern um die Intonation. Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass niemand unter allen Umständen absolut sauber spielen kann. Absolut niemand! Das hat mathematische Gründe: der Ton nach sieben Oktavierungen müssten dem nach 12 'Quintavierungen' ergeben, tut es aber nicht. All das ist hier schon angedeutet und besprochen worden. Letztlich kann man an den richtigen Stellen nur auf die richtige Art und Weise falsch spielen. Und unsere Intonationsprobleme bestehen darin, dass wir auch an den falschen Stellen richtig oder falsch bzw. und an den richtigen Stellen auf die falsche Art und Weise falsch spielen können.

Wir Streicher stehen dabei vor einer ganz besonderen Herausforderung!

Bei uns klingen immer noch andere 'tonfremde' Obertöne mit. Jeder gestrichene Ton regt die leeren Saiten oder deren Obertöne mit an. Je besser die Geige, desto resonanzfreudiger ist sie. Das bedeutet: Die 'Sauberkeit' (die richtige Intonation) wird bei uns nicht nur relativ zum gerade vorher gespielten Ton 'erfühlt/gemessen', sondern immer auch im Zusammenklang zu den leeren Saiten.

Wie dramatisch das ist, kann jeder ausprobieren: Auf einer rein gestimmten Geige möge er oder sie erst die leere e-Saite und dann das folgende f'' spielen, sodass das e ganz klar der Leitton zum f ist. Und wenn er oder sie dann dieses f als Sexte mit der a-Saite zusammenspielt, wird es furchtbar klingen, scharf, spitz - kein reine Sexte eben.

Die Frage ist jetzt: was ist falsch dabei? Totalanfänger hören den Unterschied meist nicht. Leicht fortgeschrittene Anfänger verzweifeln an ihrem Gehör: sie meinen, den Leitton nicht richtig spielen zu können und frickeln und frickeln. Ich kenne diesen Frust aus eigener Erfahrung. Theoretiker fangen jetzt an zu optimieren: Sie überlegen, ob man nicht die a-Seite tiefer stimmen sollten, um nach einer suberen Leittonsekunde e''->f'' eine sauber Sexte a'+f'' zu haben. Und überlegen dann weiter, was wohl die Auswirkungen bei nicht reinen Quinten wäre.... Das Drama hat kein Ende!

Mir hat das Buch Intonation: Spielräume für Streicher von Gerd Mantel Augen, Verstand und Ohren geöffnet, in dieser Reihenfolge. Seine These ist, dass man diese Dinge aus dem musikalischen Kontext zur Gestaltung einsetzen muss. Macht man das richtig, hat der Hörer subjektiv den Eindruck der korrekten Intonation, auch wenn sie falsch ist. Sie klingt halt an der richtigen Stelle auf die richtige Art und Weise falsch.

Was heißt das konkret?

Es gibt bekanntermaßen die Sitt-Doppelgriffe-Etüden. In der Etüde Nr. 2 Takt 29 und 30 spielt die Geigerin [Geiger sind mitgemeint] - einmal aufwärts und danach abwärts - 29: d' e' f' g' | 30:' g 'f 'e 'f , nur dass in Takt 29 die leere g-Saite dazu gespielt wird und in Takt 30 die leere a-Saite. Spielt man e'+g' rein zusammen (e' tief), wird e'+a' keine reine Quarte sein (e' zu tief). Spielt man e'+a' rein zusammen (e' hoch) , wird e'+g' schräg klingen. Das heißt, dass man bei dieser Etüde ganz bewusst übt, das e in Takt 29 tief zu spielen und in Takt 30 hoch. Genau! Die Lösung (Interpretation) sind zwei verschiedene e's quasi hintereinander.

Die Frage des Geigen lerneden Theoretikers ist dann, woran man sich denn dann noch orientieren soll. Nun, so schwierig ist die Sache dann auch wieder nicht. Hier ein paar Daumenregeln, die recht gute Ergebnisse erzeugen:

  • 1) Die Geige immer absolut in reinen Quinten stimmen. (Da auch die Geige dabei eine Rolle spielt, am besten nicht mit Stimmgerät, sondern nach Gehör: es muss das Gefühl 'jetzt brummt es' entstehen. Dieses Gefühl erzeugen zu können, ist im Übrigen die beste Grundlage für die Gehörs- und Intonationsschulung).
  • 2) e'' (auf der a'-Saite) immer passend zur leeren e''-Saite
  • 3) d'' (auf der a'-Saite) immer passend zur leeren d''-Saite
  • 4) a' (auf der d'-Saite) immer passend zur leeren a'-Saite
  • 5) g' (auf der d'-Saite) immer passend zur leeren g-Saite
  • 6) a'' (auf der e'-Saite) immer passend zur leeren a'-Saite
  • 7) d' (auf der g-Saite) immer passend zur leeren d'-Saite
  • 8.a) den 1. Finger (a, e', h') in der Regel passend (hoch) zur nächst höheren leeren Saite als Quarte (d', a', e')
  • 8.b) den 1. Finger (e', h', fis') aber passend (tief) zur nächst tieferen leeren Saite als Sexte (g', d', a'), wenn diese mitklingt (Doppelgriffe) oder wenn der Ton die Terz der Grundtonart ist (C-Dur, G-Dur, D-Dur)
  • 9.a) den 2. Finger (b, f', c') passend zur nächst höheren leeren Saite als große Terz.
  • 9.b) den 2. Finger (b, f', c') aber tief (echter Sekundschritt), sofern nur als Wechselton (a->b->a, e->f->f, h->c->)
  • 10.a) den 2. Finger (h, fis', cis') passend zur nächst höheren leeren Saite als kleine Terz.
  • 10.b) den 2. Finger (h, fis', cis') passend zur nächst tiferen leeren Saite als große Sexte, sofern als Terz der Tonart zu denken.
  • 11) Vorhalte grundsätzlich leittonmäßig denken.


Ich hoffe, man hört bei mir, was ich hier theoretisch so vollmundig "predige".

 

P.

 

Tommok Profilseite von Tommok, 13.03.2016, 14:54:13

Diesen Komma-Test kann man noch viel anschaulicher machen, wenn man ein h' auf der A-Saite passend zur leeren D-Saite intoniert (recht tief) und das gleiche h' dann mit der leeren E-Saite vergleicht (als Unterquart viel zu tief).

 

Daran sieht man auch, dass all diese "Faustregeln" natürlich als Anhaltspunkte funktionieren, dass das Mantra "es kommt darauf an" dennoch seine Gültigkeit behält. Und in 8b des vorigen Postings wird es ja schon deutlich: es kommt auf so vieles an, unter anderem auf die Tonart. Ein e'' auf der A-Saite klingt natürlich wunderschön, wenn die leere E-Saite stumm mitschwingt, aber als Terz in C-Dur, wenn ein Cello oder eine Bratsche dazu seine leete C-Saite spielt, ist es dann schlicht und ergreifend zu hoch, es sei denn man ertränkt es in Vibrato.

 

Gruß Tommok

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