Herzlich Willkommen im Geigen-Forum

 Hat jemand sowas schon mal gesehen?

Die Frage eines Herren mit Stock nach einer Stegeparatur seiner Geige  wurde von mir beantwortet: Kein Problem, dann bringen Sie die Geige doch mal mit.

Die Antwort: Nein, nein, die ist schon hier und der mitgebrachte Spazierstock aus der Mitte des 19Jh. ließ sich zur vollen Geige entblättern.......

Der Griff wurde abgeschraubt und nach abziehen eines Halteringes konnte die mittlere Hälfte abgeklappt werden um die Saiten frei zu legen. Der Bogen steckte im Resonanzbereich und kann von oben herausgezogen werden.

über einen Schlüssel lässt sich auf mechanische Weise der "Spazierstock" stimmen, doch erst einmal sah alles so aus.....

Einen passenden ultraflachen Steg zu integrieren, der eine Spielbarkeit ermöglicht und dann auch noch problemlos verschwinden kann ist gar nicht so einfach zu entwerfen....... und wo soll er stehen? Abdrücke sind nicht zu erkennen. Aus statischen und Platzgründen ist eine Position zwischen den "F-Löchern" nicht möglich.

Die in etwa passende Geigenmensur galt dann als Richtschnur

Die Besaitung erfolgte klassisch in Darm - nur die G-Saitenmechanik klemmt z.Zt. und muss noch gelöst und erneuert werden. 

Schön klingen tut das Instrument nicht - es läßt sich damit eher mit den Zaunkönigen um die Wette zirpsen. Aber auch das kann in freier Natur möglicherweise Spass bringen.

Bislang kannte ich nur die Pochette, dies hier scheint aber eine eigene Gattung zu sein.

Mit Genehmigung des Besitzers hier nun diese paar Bilder (gestern mit dem neuen Handy geschossen ;)

Gruß C.A.

P.S. Etwas gegoogelt tauchen Geschwisterexemplare in einigen Museen auf. Mir war sowas jedoch bislang unbekannt. Bei der Recherche wurde im Berliner Museum im gleichen Zuge das Wurstfagott genannt......na ja

Gesehen habe ich sowas noch nicht. Aber ich finde krass, was es so alles gibt. Schön dass die menschliche Kreativität immer wieder auch skurrile schöne Blüten trägt, die einen überraschen.

So eine Geige ist - auch wenn sie nur mäßig klingt - sicher praktisch, wenn man jederzeit damit rechnen muss, dass der Taliban um die Ecke kommt, um mit dem Sturmgewehr das Musik- und Tanzverbot durchzusetzen. Aber dass der schon im 19. Jahrhundert in Europa sein Unwesen trieb, war mir neu...

Hier habe ich noch ein paar Sachen zur Spazierstock-Geige gefunden:
 

Vermutlich stammt die Geige aus Mittenwald:

http://www.springersmusic.co.uk/Library/Violin%20collection.htm

Jedenfalls laut dieser Seite...

Und hier noch zwei Bilder:

 Über die Stegposition schein Uneinigkeit zu herrschen....
 

Eine +/- Standard-Geigenmensur ist sicher keine schlechte Wahl.

Hat sich die Mechanik jetzt gelöst? 

Gruß!

Hallo Bernhard,
danke für die Bilder, mir war gar nicht bewußt, dass beim Spielen, wie auf dem unteren Bild zu sehen, der Griff als Schulterauflage wieder angeschraubt wird. Klar, das macht natürlich Sinn. 

Den Steg habe ich wie bei dem unteren Bild zu erkennen positioniert. Aus klanglichen Gründen halte ich jedoch die Stegposition - Bild oben - für deutlich besser. Zwischen die Schallöcher gestellt könnte der Steg besser in Bewegung versetzt werden und die Schallabstrahlung wäre verbessert. Derzeit klingt der Stock schon ziemlich sparsam und wenig konzerttauglich...

Das Problem hierbei ist nur, dass sich die Abdeckung verjüngt und der Steg bei der Position zwischen den Schallöchern dementsprechend niedriger gemacht werden muss, damit man den Stock problemlos zusammenbauen kann. In diesem Fall wäre die Saitenlage sehr sehr flach , d.h. der Stock wäre warscheinlich kaum spielbar. Evt. probiere ich das aber trotzdem noch einmal aus.

Du hattest mir am Telefon ein Kriechöl zum Lösen von Mechaniken genannt. Ich habe keines da. Hast Du mit einer bestimmten Marke gute Erfahrung?

Gruß CA

P.S. Der freundlich dreinblickende Herr  und Spazierstocksammler hat mit Geigen warscheinlich ansonsten nicht soviel am Hut (siehe Bogenstrichstelle)

 Hallo,

WD40 und Caramba sind sehr wirksam - enthalten jedoch Alkohol und sind daher in der Nähe von Schelllack mit Vorsicht anzuwenden. Der Trick beim Kriechöl ist: Wiederholte Anwendung in sehr kleinen Mengen und genügend Zeit lassen zum Kriechen, Geduld. Dann löst es auch echte Härtefälle mit nur noch schwer erkennbaren Gewindegängen. Dass sich Beschichtungen wie Nickel o. ä. lösen ist nach meiner Erfahrung nicht zu befürchten - sofern sie nicht bereits durch Unterwanderung mit Feuchtigkeit nur noch als "Hülse" oben auf liegen.

Gruss, Stefan

Das ist echt spitze. Ich staune schon seit heute Mittag!

 "Du hattest mir am Telefon ein Kriechöl zum Lösen von Mechaniken genannt. Ich habe keines da. Hast Du mit einer bestimmten Marke gute Erfahrung?"

WD-40, das funktioniert für fast alles... 

"P.S. Der freundlich dreinblickende Herr und Spazierstocksammler hat mit Geigen warscheinlich ansonsten nicht soviel am Hut (siehe Bogenstrichstelle)"

Das glaube ich auch! Vermutlich sammelt er Spazierstöcke.....  

 Die Idee ist super, besonders wenn man auf Flugreise geht, bei einem Stock wird wohl vermutlich niemand auf Maximalmaße des Handgepäcks bestehen!

Naja, solange beim Durchleuchten eines Stockes nicht gerade ein Degen oder ein Sturmgewehr zum Vorschein kommt, dürften die Probleme überschaubar bleiben. Obwohl man allerdings als Stocksammler etwas in Bedrängnis geraten könnte, wenn man die Funktionsfähigkeit der Geige demonstrieren soll...

Danke für den WD40 Tipp. Das hat bestens geklappt.

Übrigens der Versuch den Steg doch zwischen die Schallöcher zu bringen (wie bei der S/W Abbildung zu sehen) bringt ein deutlich besseres Klangergebnis.  

Schön dass es geklappt hat und der Stock jetzt auch noch besser klingt!

Das schwarz/weiß Bild ist von der Cité de  la Musique, Paris - dort gibt es sehr viele interessante Instrumente und Bögen, außerdem sind die Konservatoren dort auch sehr gut informiert. Ich habe einen sehr netten Kontakt dort und werde bestimmt mal hinfahren, um mir die Schätze zeigen zu lassen.