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Seite 1 - 2 - 3Fiddletroll,
dem ersten Teil Deines Beitrags kann man zustimmen, darauf hatte ich ja auch selbst schon hingewiesen. Im nichtklassischen Bereich gibt es hin und wieder Autodidakten, im klassischen Bereich (auf wahrnehmbarem Niveau, z.B. in Amateurorchestern) nicht.
Der zweite Teil Deines Beitrags ist weder stichhaltig noch hilfreich, Du unterstellst alles Mögliche: dass Geigenunterricht generell "verkopft" sei ("viele Dinge werden klassisch nicht unterrichtet"), dass keine Improvisation und keine nichtklassische Phrasierung unterrichtet wird usw. All dies ist falsch.
Natürlich gibt es Geigenunterricht nicht nur im klassischen Bereich, und das weiß auch jeder. Über Darol Anger habe ich übrigens nicht ermitteln können, dass er Autodidakt ist. Immerhin werden einige Musiker als seine "Mentoren" angegeben. Tatsächlich hatten diverse Pop-, Jazz- und sonstige Größen selbstverständlich Unterricht bei anderen Größen ihres Faches, und nur besonders begabte Musiker schaffen es völlig ohne menschliche Anleitung.
Was den "Regelfall" angeht: es gibt hierzulande eine sehr große Szene von klassischen Amateurmusikern, was sich in der großen Zahl und teilweise auch der hohen Qualität der Amateurorchester zeigt. Jemand der, tendenziell als Kind oder auch später, hierzulande anfängt, Geige zu lernen, wird daher am ehesten in diese Richtung denken, gerade auch im Hinblick auf die Möglichkeiten des Zusammenspiels, und es gibt eben viel mehr "klassische" Lehrer als flexible oder reine Folk-Lehrer. Daher ist die klassische Geige in der Musiklandschaft einfach viel häufiger anzutreffen als die anderen (selbstverständlich respektablen, s.o., Varianten). Das heißt nicht, dass alle "klassisch" lernenden Geiger verkopft, ohne Sinn für "nichtklassische" Artikulation und ohne Improvisationselemente ausgebildet werden.
Du schreibst übrigens zutreffenderweise, dass man mit guter klassischer Technik relativ einfach andere Stile erlernen kann. Umgekehrt geht dies jedoch in der Regel nicht.
Wer Geigenunterricht generell für "verkopft" hält, hatte wohl noch nie welchen.
*schubs* (neue Beiträge zu Beginn einer neuen Seite sieht man bei der Forensoftware erst, wenn noch ein neuer Beitrg drunterkommt)
@Tommok: Du zählst einige sehr gute Punkte auf, das Anfangsthema war ja auch nicht: klassische Geige vs. Fiddle, Jazz-Impro usw. , sondern eher : ist Geigenunterricht verzichtbar, wenn man wirklich sehr gut spielen möchte?
Aber wie auch immer, auch ich finde es komisch, dass das Streben nach einer guten Basis und technik als "verkopft" abgewertet wird, Musik wird doch nicht dadurch besser, indem man sich keine gedanken darüber macht und einfach darauf los spielt.
Natürlich ist das irgendwo das Prinzip der Improvisation, allerdings ist doch auch logisch, dass man durch eine gewisse Beherrschung des Instrumentes und einem soliden Können auch viel befreiter und auf höherem Niveau improvissieren kann.
Das Erlernen von großen klassischen Werken ist eben viel arbeits- und zeit intensiver, da diese einen viel größeren Teil des Potenzials der Geige ausschöpfen und nebenbei eine große musikalische Struktur besitzen, deren Darstellung sehr komplex ist.
Je besser man das Instrument im klassischen Sinne beherrscht, desto schneller und besser lernt man in der Regel andere Stile , meist ergänzend.
Und natürlich sind die von @fiddletroll angesprochenen Stile ein Ventil, und bereiten (im besten Fall) Freude.
Aber das tut die klassiche Musik in ihrer riesigen Bandbreite selbstverständlich auch, und zwar auf komplexere Weise, gerade hier gibt es so viele Stimmungen , Farben und Gefühle, die nirgendwo sonst entstehen, auch wenn ich natürlich andere Musikstile keinesfalls abwerten möchte.
@fiddletroll schrieb von einem "idealen klassischen Klang" , und genau das ist der Fehler, denn den gibt es nunmal nicht. Und das ist ja auch das Spannende, mit den Klangfarben zu experimentieren, von mozart bis Paganini, von Brahms bis bach, das ist eine unfassbare Abwechslung und das Maximum an Musik aus seinem Instrument herauszuholen ist eine Lebensaufgabe.
schau dir einen Geiger wie Ivry Gitlis an , und im Gegensatz dazu z.b Hilary Hahn, beide haben einen völlig unterschiedlichen, persönlichen Klang und gerade in dieser Musik kann man mit seinem Instrument so viel Persönlichkeit von sich offenbaren, wie sonst wohl nur im Gesang.
"Über Darol Anger habe ich übrigens nicht ermitteln können, dass er Autodidakt ist. "
In einem Interview sagt er, dass er die Geige als Kind im Rahmen von Schulprogrammen und Privatstunden lernte und im Highschoolorchester spielte, bevor er die klassische Musik ganz hinter sich ließ und sich fortan ganz an den Größen von Bluegrass und anderen Styles orientierte und so begann, seine eigenen Wege zu suchen. Fantastischer Musiker! Würde er nicht selbst an den Wert von Unterricht und Unterweisung glauben ("Anger is also committed to string education"), würde er nicht weltweit unterrichten und Kurse geben und hätte nicht seine eigene Online Fiddle School ins Leben gerufen. Wäre ja auch echt ein Jammer, denn der Mann hat wirklich was weiterzugeben (so wie jeder gute Lehrer im übrigen, meiner auch ;-)).
Und nachdem die Videos von Violin Noobie der Aufhänger zu dieser jüngsten Diskussion waren: Auf ihrer Facebook-Seite (Violin Noobie) beschreibt sie ausführlich, wie es ihr nach zwei Jahren Selbstlernen jetzt mit Lehrer geht: Sie hat ihre (Bogen-)Haltung verändert "and it made it all better": "Less pain in back and neck and overall more relaxed in arms and hands." (!) Zudem lernt sie jetzt Notenlesen und Bogentechnik und freut sich, dass sie sich Stücke so viel schneller draufschaffen kann als vorher. Derzeitiges Stück (Vorsicht, Klassik!): Fioccos Allegro. Sie freut sich auf die Fortschritte, die sie noch machen wird. Hört sich doch gut an :-)
Hier möge sich bitte niemand auf die Füße getreten fühlen. Ich achte klassische Musik, mache die gelegentlich sogar selber. Aber ich spiele überwiegend Rock, Pop, Country, Folk und beisse mir am Jazz die Zähne aus.
Da ich als Schüler mehr als 10 Jahre Einzelunterricht hatte, sitzt mein Spiel auf einer gewissen Basis. Zwischenzeitlich habe ich fast 20 Jahre Musikpause gemacht, vor 5 Jahre wieder angefangen. 3 Jahre habe ich mich ohne Lehrer durchgekämpft und es hat viel Spaß gemacht. Und mich an Grenzen geführt.
Mittlerweile nehme ich etwa quartalsweise Einzelstunden. Leider gibt es in meiner Provinzstadt immer noch keinen Geigenlehrer, der sich auch ausserhalb der Klassik gern bewegt. Macht aber nix. Als erwachsener Schüler funktioniert Unterricht ganz anders, mein Lehrer (der übrigens bei Darol Anger Workshop mitgemacht und und berichtete, dass Darol zwar vereinzelt Unterricht hatte, rückblickend aber überwiegend autodidaktisch gearbeitet hat) kann mich problemlos in 10 Minuten für Monate beschäftigen. Hier passt die Handhaltung nicht (zeig), da musste hin (Handgelenk verdreh) und mit diesen Übungen packste das (vormach). Ich fahr dann 2 Stunden nach Hause und wenn ich daheim angekommen bin, dann suche ich nach freier Zeit, nicht nur Musik zu machen, sondern auch an der Technik zu arbeiten.
Technik ist Freiheit, aber technische Limits können durchaus individuellen Stil prägen. Individualität, die in Musikstilen jenseits der Klassik viel wichtiger und grundlegender ist, als in der Klassik. Es ist ja auch toll, dass es Virtuosen gibt, die Klassik individuell interpretieren. Aber die Mehrzahl der Violinisten sitzt nicht am ersten Pult rechts, sondern geigt brav runter, was der Dirigent ansagt. Ich möchte aber hier nicht vom Autodidakten- zum Klassikbashing übergehen. Musik ist Vielfalt, Vielfalt braucht unterschiedliche Ansätze und je bunter wie einander respektieren, desto mehr Anerkennung werden wir voneinander bekommen.
@ Tommok: nee, nicht den Unterricht habe ich als verkopft bezeichnet sondern die Ringfingerdiskussion bei VioNoob. Unterstell mir keine Unterstellungen!
@ Adi220: natürlich gibt es Klangideale in der Klassik. Und der Interpretationsraum ist oft so klein geworden, dass selbst Geiger genau hinhören müssen, um die Individualität einer Aufnahme wahrzunehmen. Das geht in anderen Stilistiken echt anders ab. Das wertet weder die eine Art der Musik ab, noch die andere auf. Es ist einfach so.
Nur ein Satz wie "Und natürlich sind die von @fiddletroll angesprochenen Stile ein Ventil, und bereiten (im besten Fall) Freude." der wirkt auf mich leider wie von einem hohen Ross herabgesprochen. Tut nicht nötig.
Zitat von Fiddletroll:
Aber die Mehrzahl der Violinisten sitzt nicht am ersten Pult rechts, sondern geigt brav runter, was der Dirigent ansagt.
@ Adi220: natürlich gibt es Klangideale in der Klassik. Und der Interpretationsraum ist oft so klein geworden, dass selbst Geiger genau hinhören müssen, um die Individualität einer Aufnahme wahrzunehmen. Das geht in anderen Stilistiken echt anders ab.
Das stimmt natürlich nicht, und es ist ein weiteres Beispiel für das Phänomen "die Musik, mit der ich mich nicht auskenne, klingt doch irgendwie immer gleich". Weiterhin ein Beispiel dafür, wie sich jemand, der noch nie im Orchester gespielt hat, die Arbeit eines Orchesters und eines Dirigenten vorstellt ("brav runtergeigen, was der Dirigent ansagt").
Vorsicht mit dem "nicht auskennen", das kann schnell nach hinten losgehen.
Hättest Du Argumente, bräuchtest Du nicht persönlich werden.
Hab kein Bock, mich auf dem Level auseinanderzusetzen...
@Fiddletroll : Naja, ich verstehe, wenn @tommok das jetzt vielleicht ein wenig hart formuliert hat.
Aber ich denke, wir sollten uns so wenig wie möglich persönlich angegriffen fühlen, denn so eine Kommunikation über das Internet ist natürlich einfach viel missverständlicher als in der Realität. Dort würden solche Probleme wohl gar nicht entstehen. Mir persönlich macht es auch nichts aus, wenn du meine Aussagen als arrogant verstehst, du wirst ja deinen Grund dafür haben. Ob die Behauptung, du würdest dich nicht gut mit klassicher Musik auskennen, gerechtfertigt ist, sei mal dahingestellt.
Aber ich bin natürlich auch für eine Diskussion auf sachlicher Ebene;)
Aber ich spiele überwiegend Rock, Pop, Country, Folk und beisse mir am Jazz die Zähne aus.
Wie ist das zu verstehen, beisst du dir technisch die Zähne aus , oder eher rythmisch, musikalisch? Ist auch alles , ausser vielleicht Pop und Rock nicht mein Fachgebiet.
(Mein Lehrer) kann mich problemlos in 10 Minuten für Monate beschäftigen. Hier passt die Handhaltung nicht (zeig), da musste hin (Handgelenk verdreh) und mit diesen Übungen packste das (vormach). Ich fahr dann 2 Stunden nach Hause und wenn ich daheim angekommen bin, dann suche ich nach freier Zeit, nicht nur Musik zu machen, sondern auch an der Technik zu arbeiten.
Finde ich schön, dass du mit einem Lehrer an deiner Technik arbeitest, allerdings bezweifle ich, dass Lektionen in solch großen Abständen wirklich eine große Hilfe sind, oder ob man nicht doch ein bisschen in seine alten Gewohnheiten zurückfällt, eine etwas höhere Frequenz wäre sicherlich nicht von Nachteil, allerdings ist die klassische Musik ja auch nicht dein Kerngebiet, also ist es wohl auch nicht so tragisch, wenn das ein oder andere Haltungsdefizit überbleibt.
Technik ist Freiheit, aber technische Limits können durchaus individuellen Stil prägen. Individualität, die in Musikstilen jenseits der Klassik viel wichtiger und grundlegender ist, als in der Klassik.
Also das klingt für mich ein bisschen nach Schönreden von mangelhafter Technik...nicht falschverstehen, ich meine damit keinesfalls dein Spiel, darüber kann ich ja nicht urteilen, jedoch hat es mMn. nur Vorteile, eine möglichst effektive und gute technik zu besitzen, somit hat man ja auch mehr Möglichkeiten, seinen individuellen Klang zu formen und allgemein mehr Freiheit.
Ausserdem, auch wenn du es sicherlich weisst, gibt es nunmal nicht nur die "Klassik", klar müssen wir einen Überbegriff für alle Epochen finden, aber es klingt mir etwas zu banal, die Klangvorstellungen unterscheiden sich extrem von Komponist zu Komponist, von Barock zur Romantik, und auch all diese Ideale sind völlig individuell.
Jeder hat eine andere Vorstellung davon, wie Bachs Musik zu klingen hat.
Und da Musik von Brahms und Bach etc. so unglaublich genial und komplex ist, lässt sie viel mehr Spielraum und Kreativität zu als in anderen Genres: natürlich oft in "kleinen Nuancen", die aber unterm Strich wahnsinnig viel ausmachen.
Ich möchte hier wirklich keinen Musikstil auch nur im entferntesten runtermachen, aber es ist nunmal Fakt, dass "klassische Musik" im Normalfall eine viel abwechslungsreichere, individuellere und vom Aufbau her viel kompliziertere Musik ist. Das ist wirklich nicht wertend gemeint, was einem am Ende mehr Spaß macht, ist jedem selber überlassen, aber ein Irisches Lied oder ein Country Song mit einem großen , zb. romantischen Werk zu vergleichen ist das Gleiche, als würdest du eine kleine Dorfkirche neben den Petersdom stellen, es ist nunmal vom Anspruch und von der Strukur her einfach nicht miteinander zu vergleichen, aber wie gesagt, auch ich höre, spiele gerne andere, einfachere Musik, aber nur weil es das Ziel ist, dem Komponisten und der Partitur gerecht zu werden, heisst das nicht, das kein Spielraum für Persönlichkeit bleibt, im Gegenteil.
Aber die Mehrzahl der Violinisten sitzt nicht am ersten Pult rechts, sondern geigt brav runter, was der Dirigent ansagt.
Hmm, wer redet hier von einem hohen Ross hinunter? ;)
Der Eindruck mag vielleicht entstehen, da man sich als Geiger in einem Orchester natürlich der Musik unterordnen muss, wäre ja auch nicht sehr schlau, nicht auf den Dirigenten zu hören...
Ich finde es nur leider ein bisschen respektlos, wenn man bedenkt, was für fantastisch ausgebildete, hochbegabte Geiger heute in vielen Berufsorchestern sitzen, man denke mal ganz klischeehaft an die Berliner Philharmoniker: jeder Musiker, auch am letzten Pult, ist absolute Weltklasse und hat unfassbare Arbeit und Druck auf sich genommen, ist eine Ausnahmebegabung und ein wahnsinns Musiker, nur das man sich dessen einmal bewusst wird- und das ist auch in vielen anderen Orchestern der Fall, die Qualität ist atemberabend heutzutage.
Insofern fand ich die Aussage von Tommok gar nicht soo fehl am Platz, vielleicht ein bisschen zu scharf, aber das war deine Einschätzung gegenüber Orchestermusikern ja auch...wie auch immer, ist ja alles nicht so tragisch.
natürlich gibt es Klangideale in der Klassik. Und der Interpretationsraum ist oft so klein geworden, dass selbst Geiger genau hinhören müssen, um die Individualität einer Aufnahme wahrzunehmen. Das geht in anderen Stilistiken echt anders ab. Das wertet weder die eine Art der Musik ab, noch die andere auf. Es ist einfach so.
Auch da muss ich leider nochmal widersprechen, klar- gewisse Grundrichtungen, in die man sich orientieren sollte, gelten schon ,aber das ist doch im Rock oder Folk genau das Gleiche. Und ich würde behaupten, dort gibt es viel weniger Spielraum, zumal es ja nicht soviele verschiedene Epochen gibt, die sich von ihren "Idealen" alle völlig unterscheiden.
Es ist zwar irgendwo richtig, dass viele Solisten nicht mehr einen ganz so hohen Wiedererkennungswert wie früher besitzen, jedoch gibt es immer noch wahnsinnige Unterschiede, es ist doch wohl nicht schwer, eine Anne-sophie Mutter von einer Hilary Hahn oder einen Joshua Bell von einem Vengerov zu unterscheiden, es gibt soviele unterschiedliche Aufnahmen von Beethoven, Brahms, Bruch Violinkonzerten, mit evtl. ein biischen Vorbereitung ist es ein Leichtes, gewisse Aufnahmen zu entsprechenden Geigern zuzuordnen, das hat meine ich auch David Garrett aus 30 (?) Aufnahmen vom Beethovenkonzert getan bei Wetten Dass" und es war nun wirklich nicht schwer, wenn man sich mal ein paar berühmte Geiger angehört hat.
Soviel mal dazu, auch wenn es ein bisschen ins offtopic abgedriftet ist, aber ist doch auch nicht uninteressant.
Lg
Um ersteinmal beim Thema zu bleiben:
Mit den technischen Limitierungen ist das so eine Sache, es ist recht klar, dass die bei autodidaktischem Lernen der Geige unausweichlich sind. Ich schaue da aber auch gerne mal ein wenig rechts und links. In der Welt der Gitarrenspieler ist es nicht ungewöhnlich, sich das selbst beizubringen. Da gibt es Leute mit sehr ungewöhnlicher Spieltechnik wie Steve Vay oder im Extrem Jeff Healey. Die Jungs haben aus dem "Mangel" eine "Qualität" gemacht und einen eigenen Sound entwickelt, der mit üblicher Spieltechnik kaum zu kopieren ist. Das hat nichts mit Schönreden eigener Defizite zu tun.
Was meine Formulierung mit "Zähne ausbeissen beim Jazz" angeht: wann immer ich mich in dem Musikstil bewege, spüre ich meine musikalisch / technischen Grenzen schneller als überall sonst. Der Umgang mit der Time, die Erweiterungen der Akkorde, das ist alles schon sehr herausfordernd. Viele Jazzer arbeiten intensiv mit Licks und Skalen, ein Weg der mir nicht sehr vertraut ist. Braucht halt Zeit und viel Arbeit mit Bogen und Kopf.
Was den Begriff "Klassik" angeht: es ist mir klar, dass dieses Wort sowohl eine Epoche darstellt, als auch den Sammelbegriff für Barock-Klassik-Romantik-Moderne. Und ich vergleiche auch nicht "All my Exes live in Texas" mit großen Symphonien. Wir sind hier doch in einem Geigenforum. Da ginge es eher um den Vergleich großer Klassikgeiger mit herausragenden Geigern anderer Stilarten. Auch Country kann mit schräger Technik virtuos gespielt werden und eine Geige zum swingen zu bringen, das ist auch nicht jedem gegeben. Ich würde mir einfach etwas mehr Offenheit wünschen, Respekt auch vor anderer Musik.
Meine Einschätzung was Orchestermusiker angeht ist übrigens recht simpel: knüppelharter Job, verdient viel Respekt und selten angemessenes Geld! Massiver Druck von allen Seiten, jeder Platz ein Schleudersitz. Die Mehrzahl der aufgeführten Werke sind Standards, die Arbeitsbedingungen entsprechen selten den Richtlinien. Dafür gibt es vereinzelt tolle Kollegen, die genauso darunter leiden dass der Mix, den sie auf die Ohren bekommen unausgewogen ist. Kleine Besetzungen machen richtig Spaß.
Meine Provokation, die müssten brav spielen was der Dirigent anzeigt ist auf der Sachebene ja nicht wirklich falsch. Genauso wie es auf der Sachebene korrekt ist, dass die künstlerische Freiheit abseits der Klassik (Sammelbegriff) sehr groß ist, weil es nicht nur um die Frage geht wie etwas gespielt wird, sondern auch was gespielt wird. Abseits der Klassik wird viel ohne Noten gearbeitet, da sind Kompetenzen gefragt, die für Orchestermusiker erstaunlich wirken mögen.
Musikalische Freiheit kann man auf zwei Arten haben: was man spielt, und wie man es spielt. Wenn nach Noten gespielt wird, dann beschränkt sich die Freiheit auf das Wie. Ohne ausnotierte Werke kommt das Was dazu. Dies einfach auszublenden und die komlexität klassischer Werke zu betonen, das greift ein wenig kurz. Sich in einem Bandkontext gut einzufügen, ad hoc zwischen Solo und Support zu switchen, Lines zu finden, die dem Song gerecht werden, aber mit keiner anderen Stimme kollidieren oder sich ungewollt überlagern, das braucht schon Kompetenzen, die leider in Deutschland kaum gelehrt werden.
Also, lieber Fiddletroll, ich glaube wir sind hier vom eigentlichen Thema ("Werden Autodidakten tatsächlich bzw. zu Unrecht diskriminiert") über die Frage, ob Unterricht den geigerischen Fähigkeiten generell weiterhilft (ja, tut er) über die Frage, ob selbst beigebrachtes nicht-klassisches Spiel theoretisch zu guten Ergebnissen führen kann (ja, kann es, auch wenn viele Nichtklassiker dennoch gewinnbringend mit Lehrern arbeiten oder gearbeitet haben) über die Frage, ob man nichtklassisches Spiel generell respektieren sollte (ja, sollte man) bei einer Art "Klassik-Bashing" gelandet.
Du unterstellst geradezu zwanghaft, dass das klassische Spiel weniger oder weniger wertvolle Kompetenzen erfordert, als das nichtklassische Spiel. Wenn Du (erheblich vereinfachend) behauptest, die Klassiker machten sich ja nur über das "Wie" Gedanken, die anderen allerdings zusätzlich(!) auch noch über das "Was", und dass das nichtklassische Spiel "Kompetenzen erfordert, die in Deutschland kaum gelehrt werden", dann ist das:
1. falsch. "In Deutschland" werden Kompetenzen für nichtklassisches Spiel durchaus gelehrt, tendenziell von darauf spezialisierten Lehrern, die einem angehenden Geiger da auch in aller Regel durchaus weiterhelfen können (um mal wieder das Eingangsthema aufzugreifen). Weiterhin ist, wie bereits festgestellt, Improvisation und Erfindung durchaus ein sinnvolles und auch häufig verwendetes Element des klassischen Unterrichts.
2. irreführend. Das Spiel im Orchester erfordert erheblich mehr Kompetenzen als das möglichst "brave Umsetzen, was der Dirigent vorgibt". Ich wiederhole mich, zu so einer Auffassung kann man nur gelangen, wenn man nie Orchester gespielt oder dirigiert hat. Es sind alle möglichen Kompetenzen gefragt, die man als jemand, der das noch nie betrieben oder der sich noch nie damit beschäftigt hat, vermutlich nicht wahrnehmen kann, beginnend bei der Ausgestaltung des Freiraums jenseits des Dirigats als Stimmgruppe, als Pult, als Einzelspieler am Pult, als Streichergruppe, sich fortsetzend mit einer möglichst guten und tiefgreifenden Werkkenntnis, um auf die anderen Stimmen des Orchesters reagieren zu können, weiterhin ein sehr flexibles, intuitives und informiertes Verständnis z.B. von Intonation und so weiter und so fort.
Man könnte fast behaupten, dass solche Fähigkeiten auf Nicht-Orchesterspieler "erstaunlich wirken mögen", aber das wäre genau so wenig hilfreich, wie Dein (vielleicht unbewusster aber doch spürbarer) Versuch, hier bestimmte Musikstile und Musizierarten in Punkto "Anspruch an den Spieler" gegeneinander auszuspielen.
Es bleibt die Feststellung: ein Geiger mit guter klassischer Technik ist, mit geeignetem und umfassender Beschäftigung mit der Materie, am ehesten in der Lage, sich in andere Stilistiken einzuarbeiten. Umgekehrt funktioniert das nicht, es gibt kein einziges Beispiel dafür.
Das bedeutet nicht, dass klassische Musik besser oder schlechter oder mehr oder weniger "anspruchsvoll" ist, als irgend ein anderer Stil. Es bedeutet allerdings, dass gute Technik, die statistisch gesehen am besten von einem Lehrer gelernt wird, in jedem Musikstil hilfreich ist.
Womit die Ausgangsfrage des Threads aus meiner Sicht so zu beantworten wäre: Autodidakten, insbesondere im nichtklassischen Bereich, sind nicht deswegen schlecht, weil sie Autodidakten sind, es gibt auch gute nichtklassische Autodidakten. Dennoch ist der Ratschlag an Anfänger oder auch an mehr oder weniger fortgeschrittene Amateure, sich einen guten Lehrer zu suchen, in aller Regel zielführend, d.h. Unterricht schadet eigentlich nie und hilft fast immer.
Ich glaube, wir stehen einander inhaltlich viel näher, als bisher beidseitig wahrgenommen. Du hast in sehr vielen Punkte Dinge gesagt, die ich 1:1 unterschreiben kann.
Aber ich versuche nicht Musikstile gegeneinander "auszuspielen", alles was ich sage ist, dass abseits der Klassik Kompetenzen gefragt sind, die in Deutschland selten gelehrt werden (und die für viele Autodidakten selbstverständlich sind). Ich habe Geigenuntericht ausschließlich klassisch kennengelernt und in meiner Region trotz anhaltender Suche keinen Lehrer gefunden, der andere Wege geht. Toll, wenn anderswo andere Möglichkeiten bestehen, hier gibt es sie nicht.
Was hier bei uns auseinandergeht ist der gegenseitige Wunsch nach Anerkennung. Ich vermute Tommok, Du bist Orchestermusiker. Ich wollte Dich an der Stelle nicht angreifen oder in Frage stellen. Ich habe sehr, sehr großen Respekt vor dem, was auf der Bühne oder im Graben geleistet wird. Hab übrigens selber über 7 Jahre in einem großen Schülerorchester gespielt und dabei sehr viel Spaß gehabt. Meine klassische Spieltechnik ist heute aber weit davon entfernt, auch nur den Hochschulzugang zu packen. Aber das ist eben nicht alles, die Welt der Streicher ist so reich, dass die Variante "klassisch" eben nur eine von vielen Möglichkeiten ist. Ich hätte das hier gerne etwas ausgebreitet.
Also, nach wie vor erschließt sich mir nicht, warum etwas (angeblich mangels Angebots) nicht durch Unterricht erlernbar sein soll, was angeblich für viele Autodidakten "selbstverständlich" ist, und die Praxis zeigt eigentlich auch eher das Gegenteil- von den besten Geigern und Fiddlern im nichtklassischen Bereich hat definitiv eine große Mehrheit mit einem oder mehreren Lehrern gearbeitet und nur eine (allerdings existente) Minderheit ausschließlich mit Büchern, CDs oder Schallplatten oder Musik-Downloads oder YouTube-Videos. Und darum geht es in diesem Thema, um nichts anderes. Die Quintessenz sollte lauten, dass man, gerade auch um den kritischen eigenen Blick auf das eigene Spiel zu schärfen und zu differenzieren, mit einem Lehrer besser beraten ist als ohne.
In einem gewissen Maße ist jeder gute Musiker Autodidakt- der Unterricht soll einem ja helfen, zu lernen. Lernen ist aber nach wie vor ein aktiver Vorgang, also etwas, was man aktiv tut. Und je besser man dir Fähigkeit erwirbt, typischerweise durch einen Lehrer, sein Spiel aktiv zu verbessern, desto besser kommt man voran. Der Lehrer schärft den Blick auf die eigenen Stärken und Schwächen, auf blinde Flecken und auf Aspekte, auf die man selbst nicht gekommen wäre, zeigt Methoden, um weiterzukommen und eröffnet zusätzliche Perspektiven.
Als Profi hat man nach dem Studium keinen regulären Unterricht mehr, obwohl viele trotzdem dann und wann noch zu Lehrern gehen, meistens mit bestimmten Interpretationen oder bestimmten Fragen. Mit dem Studium muss also das Werkzeug erworben sein, um sich danach mehr oder weniger "autodidaktisch" weiterzuentwickeln.
Insofern ist die eigene Suche nach Methoden zur Verbesserung des eigenen Spiels nicht falsch, sondern essenziell für einen guten Musiker. Allerdings ist bis zu diesem Punkt, dem Punkt einer gewissen "informierten Reife", ein Lehrer beim Geigen erfahrungsgemäß durch nichts zu ersetzen, es sei denn man bleibt, wie gesagt, in sehr engem Kreis, oder man ist eine der sehr seltenen Ausnahmen, die (im nichtklassischen Bereich) ohne jede Anleitung alles lernen, was sie potentiell lernen könnten.
Hallo,
nun auch mein Senf, muss allerdings drauf hinweisen, dass ich nicht alle Beiträge gelesen habe!
Irgendwie kommt mir die Fragestellung recht hypothetisch vor - warum sollte jemand, der wirklich sehr gut Geige spielen will, denn nicht Unterricht nehmen wollen?
Angenommen, jemand ist in herausragender Weise begabt (und zwar wunderkindmäßig, denn die sog. Wunderkinder schaffen es ja tatsächlich in geringer Zeit auf erwachsenes technisches Spielniveau, d.h., sie haben einen solch günstigen Zugriff auf das Instrument, dass sie mit wenig Lernzeit auskommen).
Also, solche Leute sind schon recht selten, denn für die meisten ist die Handhabung einer Geige alles andere als intuitiv, und ich spreche nur von der technischen Ausführung. Aber es muss ja intuitiv gelingen, wenn kein Lehrer zum Helfen da ist.
Angenommen also, man hat so eine Sonderbegabung: Alles das, was einem der Lehrer sagen würde, muss man sich selber erarbeiten. Es kostet seeehr viel Zeit. Mit einer derartigen Begabung hätte man aber doch normalerweise den Anspruch, schnell voran zu kommen. Wieso dann kein Lehrer?? Wenn er einem nicht passt, dann eben ein anderer Lehrer!
Und improvisieren ist ähnlich wie frei sprechen - da geht es um Inhalte und Gestaltung - sprechen sollte man aber vorher gelernt haben. Ich kann also ohne Japanischkenntnisse nicht frei auf japanisch etwas vortragen. Und während ich wahrscheinlich hier in D zwar langsam und beharrlich in Selbstlernkursen Japanisch lernen könnte, ginge es doch wesentlich schneller, wenn ich mir einen Privatlehrer suchen würde, bei dem ich jede Woche Einzelunterricht hätte.
Mir ist letztendlich egal, wenn einer gut spielt, wie er es gelernt hat, aber die Umstände müssten schon sehr außergewöhnlich gewesen sein, dass es mit einem Lehrer nicht effektiver gegangen wäre als ohne.
LG, Flitzebogen
Hallo
Nur weil die Mehrheit der guten Musiker (angeblich) einen Lehrer hatte, heisst das noch lange nicht, dass es somit mit einem Lehrer zwangsläufig besser, schneller und einfacher zu lernen ist. Das hat einfach etwas damit zu tun, dass wir eine extreme "ohne Lehrer geht das nicht"-Kultur haben. Es wird eben nahezu immer und überall suggeriert, dass man einen Lehrer braucht. Das halte ich aber grundsätzlich für nicht richtig.
Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung sagen, dass mich persönlich beim erlernen verschiedener Instrumente ein Lehrer eher gestört hätte/hat. Ich habe das meist sehr schnell gemerkt und fühlte mich mit Lehrer oft limitiert und eingeschränkt. Mein eigenes Lernen verlief oft anders. Ich hatte teilweise andere Reihenfolgen Dinge zu lernen, ohne ihre prinzipielle Wichtigkeit ausser Acht zu lassen. Wenn man sich mittlerweile umschaut wieviel Methoden es für ein Instrument jeweils gibt, dann zeigt sich für mich auch eine klare Notwendigkeit der Individualisierung des lernens und lehrens.
Ich denle das beides seine Berechtgung hat, aber es ist für mich persönlich auch klar, dass ich besser autodidaktisch lerne, als mit einem Lehrer der zu starr agiert und auf individuelle Dinge zu wenig Rücksicht nimmt.
Ich mache seit ca. 50 Jahren Musik. Spiele Gitarre in allen Variationen, Flügelhorn, Saxophon, Klavier und Schlagzeug. Alles auf "brauchbarem" und vorzeigbarem Niveau. Musikalisch geht es auch quer durch den Garten: Rock, Jazz, Blues, Pop, Klassik und auf der Gitarre zusätzlich auch noch Flamenco....
Derzeit lerne ich (wieder autodidaktisch) Cello und komme, gemäss meinem Geigenbauer, der selber Cellist ist, sehr schnell und gut voran. So, what?
Gruss, Musician
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