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Low-Tension-Saiten: hilfreich oder nicht?

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jd65 Profilseite von jd65, 08.03.2023, 19:36:04
Low-Tension-Saiten: hilfreich oder nicht?

Hallo zusammen,

ich habe ja letztes Jahr nach (viel zu) langer Zeit die Geige wieder ausgepackt und versuche seither, möglichst täglich etwas zu üben. Damals hatte ich einen unbenutzen, aber ca. 20 Jahre alten Satz Pirastro Obligato aufgezogen, der jetzt so langsam am Ende ist. Jetzt überlege ich gerade, ob ich wieder die Obligatos nehmen soll oder etwas anderes ausprobieren? Ich möchte auf jeden Fall Kunststoff-Saiten die eher in Richtung "warm" klingen, wobei es nicht so prägnant sein muss, wie es bei den Obligatos ist. Dabei bin ich auf die Perpetual-Cadenza Saiten von Pirastro aufmerksam geworden, die ja schon eine niedrigere Saitenspannung haben als meine Obligatos. Das würde meiner Geige definitiv gut tun.

Aktuell stehe ich beim Üben vor dem einen oder anderen Problem, wo ich Sachen nicht mehr richtig hinbekomme, die ich früher entweder konnte, oder vielleicht nicht so doll konnte, aber es reichte immer irgendwie. In letztere Kategorie fallen bei mir Doppelgriffe mit Quinten, vor allem, wenn es in höhere Lagen geht.
Es ist alles so lange her, aber ich meine mich zu erinnern, dass mir der endgültigen Wechel von Darm- auf Kunststoffsaiten, den ich so ca. 1999 vollzogen hatte, damals in dieser Hinsicht sehr zupassgekommen war, da die höhere Spannung der Kunststoffsaiten im Vergleich zu den Darmseiten das Greifen der Quinten erleichtert hat. Meine ich wie gesagt, zu erinnern, bin mir aber nicht mehr sicher.

Macht diese Vermutung Sinn, oder ist es am Ende gerade anders herum?

Falls jemand da eigene Erfahrungen hat, wäre ich über das Teilen derselben sehr dankbar. :-)

 

Mit freundlichen Grüßen, jd65

jd65 Profilseite von jd65, 10.03.2023, 22:59:58

Hallo zusammn,

ich war (zu) ungeduldig und habe die Saiten bestellt. Um es kurz zu machen: ich bin ziemlich enttäuscht. Zum einen hält der Klang auf meiner Geige nicht, was die Werbung verspricht. Und die Verarbeitungsqualität ist im Fall der A-Saite richtig schlecht. Hier war das Ende am Saitenhalter so dick, dass die Saite nicht in den Saitenhalter gepasst hat. Ich musste erst mehrmals mit einer Flachzange nachhelfen, bevor ich sie aufziehen konnte...

Zu meiner eigentlichen Frage: die niedrigere Saitenspannung ist prinzipiell eine feine Sache, da man links wie rechts viel entspannter ist beim Spielen. Aber was die Quint-Doppelgriffe angeht: da habe ich mit dem Kauf ein Eigentor geschossen. Zwar lassen sich die Saiten leichter auf das Griffbrett drücken, aber sie weichen eben auch viel leichter zur Seite aus, was solche Quinten noch heikler macht.

Jedenfalls werde ich mir bei nächster Gelegenheit wieder einen Satz meiner altbewährten Obligatos ordern.

Das Anliegen ist damit abschlossen.

BTW: könnte mir eventuell jemand die Typo im Titel korrigieren (versehentlich "Tention" anstatt korrekt "Tension")? Ich habe keine Möglichkeit gefunden, das selbst zu erledigen, bzw. als ich es entdeckt habe, war es zu spät.

Falls das noch möglich ist: vielen Dank dafür im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen,

jd65

Bavarica Profilseite von Bavarica, 12.03.2023, 08:16:06

Hallo jd,

 

danke für Deinen Bericht zu den Perpetual Cadenza. Auch auf meiner Geige bevorzuge ich warm klingende low-tension Saiten, und bisher habe ich für mich nichts Besseres gefunden als Warchal Amber, die sich auch in hohen Lagen wunderbar spielen lassen. Von Obligato war ich eher enttäuscht, aber das hängt auch immer von der jeweiligen Geige ab.

 

Gruß

Bavarica

jd65 Profilseite von jd65, 12.03.2023, 20:44:04

Hallo Bavarica,

vielen Dank für deinen Beitrag. Den Tipp mit den Warchal Amber Saiten werde ich mal im Hinterkopf behalten, von denen habe ich bisher nur gelesen, habe aber von diesem Fabrikat noch nie Saiten gespielt und sie bei Bekannten auch noch nie bewusst wahrgenommen.

Heute habe ich mit ca. 2h für meine derzeitigen Verhältnisse recht lange geübt, bzw. "gespielt" trifft es heute besser. Ich bin von meinem derzeiten Üb-Programm ziemlich abgewichen, um die Saiten noch ein wenig zu testen, und dabei habe ich mich ein Stück weit mit ihnen angefreundet.

Nachdem ich letztes Jahr wie schon gesagt nach langer Zeit das Üben wieder aufgenommen  hatte, ist bei mir schnell die Idee gereift, mir für die nächsten Jahre ein größeres Projekt vorzunehmen. Das heißt "Beethoven", genauer gesagt: alle 10 Violinsonaten, von denen ich früher nur zwei zu meinem Repertoire gerechnet hatte (die Nummern 1 und die unvermeidliche Nr. 5 ;-) ). Derzeit nehme ich mir Sonate für Sonate vor, um einmal für die schweren Stellen einen groben Fahrplan in Sachen Fingersätze zu erstellen, und auch die eine oder andere Idee für Striche zu gewinnen. Hauptsächlich aber geht es mir darum, von jedem Stück eine grobe Idee herauszuarbeiten, auf die ich dann später aufbauen kann. Derzeit bin ich bei der Nr. 7 (das ist aber in meiner Reihenfolge schon die zweitletzte). Und speziell beim Arbeiten an dieser Sonate war ich von den Cadenzas zu Beginn total enttäuscht, vor allem im langsamen Satz. Zu Beginn hat sich das nämlich gerade bei langsamen Stellen und im Piano ziemlich "blechern" angehört, und natürlich ungewohnt laut (aber das weiß man natürlich, wenn man diese Saietn kauft).

Zu besseren Zeiten (lang ist's her...) hatte ich einmal das Brahms-Konzert vorspielreif drauf, davon ist nicht mehr viel übrig, aber die selbst eingerichteten Noten, die habe ich natürlich noch. Und da habe ich heute einmal interessehalber die ersten beiden Sätze gespielt, und vor allem im 1. Satz auch in Sachen Lautstärke alles gegeben. Und da haben die Saiten plötzlich "aufgemacht", da war er plötzlich: der komplexe Klang, auch mit dunkleren Einfärbungen.

Danach habe ich dann noch ein wenig an meinem Beethoven gearbeitet und hatte den Eindruck, dass es auch im langsamen Satz vom Klang her jetzt besser war. Entweder, ich habe mich einfach an das andere Spielgefühl gewöhnt, oder die Saiten brauchen doch länger zum Einspielen, als es so beworben wird. Nachstimmen muss ich nämlich nach wie vor ziemlich häufig, vor allem die A-Saite.

Und nochmal zum Brahms: als ich das mit meinen Obligato-Saiten zum letzten Mal probiert hatte, hatte das die linke Hand so viel Kraft gekostet, dass ich schier nicht durchgekommen wäre. Heute (inkl. Joachim-Kadenz) ging das in Sachen Kraftanstrengung richtig "locker vom Hocker". Über die Intonation breite ich natürlich lieber den Mantel des Schweigens... ;-)

Als vorläufige Zusammenfassung lässt sich nach meiner bisherigen Erfahrung sagen, dass diese Saiten sicherlich für Solisten und das entsprechende Repertoire geeignet sind, für Kammermusik, auch für anspruchsvollere wie die Beethoven-Sonaten, aber doch eher nicht.

Von daher wird es bei mir doch eher darauf hinauslaufen, dass ich entweder wieder zu den Obligatos zurückkehre oder nochmal etwas ausprobiere. Und in dem Zusammenhang nochmal vielen Dank für den Tipp mit den Warchal-Saiten, die hören sich wirklich interessant an (und laut Spannungstabelle sind sie den Pereptual Cadenzas ziemlich vergleichbar).

So viel mal für heute.

Mit freundlichen Grüßen,

jd65

Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 14.05.2023, 02:09:58

Hallo jd65,


Dein Thread ist schon ein paar Wochen alt, trotzdem kann ich noch etwas beitragen.


Quintgriffe:
Die Problematik der Quintgriffe ist abhängig von der jeweiligen Anatomie eines Geigers ein sehr individuelles Problem.
Einige mir bekannte Profis mit Funktionsstellen in staatlichen Orchestern, ziehen die tiefere Saite mit dem Finger etwas in Richtung der höheren Saite und neigen den Finger dann zur höheren Saite um in den hohen Lagen eine Quinte sauber spielen zu können. Sie unterrichten das auch so.
Im öffentlichem Unterricht an der Hochschule sind Quintgriffe immer wieder mal ein Thema. Zusammenfassend kann man dazu sagen, daß alles an Arm-, Hand- und Fingerhaltungen erlaubt ist, sofern es zum Erfolg (also einer sauber gegriffenen, gut klingenden Quinte) führt und den Bewegungsfluß des Spiels nicht behindert. Bei Menschen mit besonders schmalen Händen und Fingern ist ein Steg und ein Obersattel mit enger gesetzten Saitenkerben eine Erleichterung zur Ausführung von Quintgriffen. Die meisten dieser Tricks und Techniken sind mit weicheren Saiten leichter umzusetzen.
Daher sehe ich Deine Lösung den Quintgiff durch das Einklemmen des Fingers zwischen zwei vergleichsweise steife Saiten zu erzielen als riskante Lösung an. Das muß nicht in jeder Situation zu einer sauber und gut klingenden Quinte ausreichen. Besser Du machst dich frei von überkommenen traditionellen Regeln zur Arm, Hand und Fingerhaltung und suchst experimentell nach einer für Dich optimalen und sicheren Lösung die unabhängig von einem bestimmten Saitenmodell ist.
 
Weichere Saiten:
So wie Du den Unterschied zwischen den bisher von Dir verwendeten Obligato-Saiten und den Perpetual Cadenza beschreibst kann man vermuten, daß Du die nicht mehr produzierte harte Version des Obligato Saitenmodells benutzt hast. Denn die Zugspannungen der Perpetual Cadenza- und der Obligato-Saiten (mit Alu umsponnener D-Saite) in mittlerer Stärke unterscheiden sich laut Herstellerangaben  nur in der zweiten Nachkommastelle, wenn man von den verschiedenen E-Saiten der beiden Saitensätze absieht.
Zum Thema weiche Saiten kenne ich die Meinung einer Reihe von Streicherprofis die bewußt weiche Saiten benutzen, weil diese sie bei oftmals mehreren Studen täglicher Spielzeit (einspielen, üben, unterrichten, proben, aufführen) spürbar weniger anstrengen und ermüden. Das hast Du beim Durchspielen des Brahms-Konzerts selbst erlebt.
Diejenigen die zusätzlich noch in Kammermusikensembles mitwirken oder solistisch auftreten berichteten mir, daß weiche Saiten ihnen das Erarbeiten und Einüben von neuen Stücken in kürzerer Zeit ermöglichen. Das entspricht auch meiner eigenen Erfahrung. Schwierige Stellen mit komplexen Bewegungsabläufen in der linken und rechten Hand werden leichter beherrschbar. Der Grund mag darin liegen, daß der geringere Kraftaufwand beim Spiel auf weichen Saiten kein so langwieriges Training der für bestimmte Bewegungsabläufe benötigten Muskelgruppen erfordert, wie es bei harten Saiten notwendig ist.
Auch habe ich es schon erlebt, daß Hochschulprofessoren die Bitte nach einer Empfehlung für Saiten mit "Nehmen Sie irgend etwas Weiches!" beantwortet haben. Ihre eigene Saitenwahl entspricht dieser Empfehlung.
Da Du in vorherigen Threads den Obligato-Saitensatz als klanglich Deinen Vorstellungen entsprechend beschrieben hast, wäre es sinnvoll zuerst diesen Saitensatz in mittlerer Stärke mit Alu umsponnener D-Saite auszuprobieren und zu vergleichen ob er sich in dieser Stärke tatsächlich spieltechnisch von dem bezgl. der Zugspannung nahezu identischen Perpetual Cadenza unterscheidet. Du verwendest bei diesem Vergleich natürlich immer die gleiche E-Saite.
 
Wenn weiche Saiten für Dich grundsätzlich eine überlegenswerte Option sind, kann ich Dir das von Savarez neu entwickelte Saitenmodell Corelli Solea empfehlen. Diese Saiten erlauben ein angenehmes und weiches Spielgefühl und bieten eine deutliche Erleichterung beim Spielen wie oben beschrieben - auch in den hohen Lagen. Zur Mühelosigkeit mit der sich diese Saiten in jedem dynamischen Niveau präzise anspielen lassen und wie sich der Klang mit Leichtigkeit modulieren läßt kenne ich keine Parallele. Erstaunlich im Vergleich zu anderen Saitenmodellen ist auch, daß die große Modulationsbreite im ganzen weiten Dynamikbereich erhalten bleibt, auch im pp. Kleinen Impulsen und Veränderungen in der Bogenführung können die Saiten verzögerungsfrei folgen und diese in Klang umsetzen, ohne daß man mit dem Bogengewicht zu Beginn einen Impuls geben muß. Der gewünschte Klang ist sofort da. Das erleichtert das Spiel von Doppelgriffen und Akkorden und vereinfacht das artikulierte und akzentuierte Spielen sowie die Realisierung von klanglichen Vorstellungen und Effekten. Nicht angestrichene Saiten lassen sich sehr einfach zu sympathischen Resonanzen anregen, insbesondere die D-Saite, wodurch der Klang der gespielten Saite verstärkt wird, mehr Klangfarben ermöglicht werden und das Instrument resonanter wird. In diesem Umfang ist das bei anderen Saitenmodellen nur schwer zu finden. Hervorragend sind auch die zum Saitensatz gehörenden E-Saiten. Bei Bedarf liefern sie ein großes Klangvolumen ohne scharf zu klingen. Diejenigen aus meinem Bekanntenkreis die den Saitensatz ebenfalls ausprobiert haben bestätigten, daß diese E-Saiten praktisch nie pfeifen. Man kann nicht nur die E-Saite sondern auch die anderen Saiten richtig zum Singen bringen, ein großer, tragender Ton ist spielend erreichbar.
Bei uns allen waren alle 4 Saiten dieses Saitensatzes innerhalb von maximal 3 Stunden stimmstabil, kleine Schwankungen auf Grund sich ändernder Umgebungsbedingungen nicht berücksichtigt. Die Saiten benötigen 5 bis 6 Stunden aufsummierte Einspielzeit um ihren Klang voll zu entwickeln. Der gesamte Saitensatz hat sich als vergleichsweise langlebig erwiesen. Alle die dieses Saitenmodell ausprobiert haben betrachten es als wegweisende Neuentwicklung.
Wenn Dich die Möglichkeiten weicher Saiten ansprechen, lohnt es sich zu testen ob dieser neue Saitensatz klanglich zu Deinem Instrument und zu Deiner Klangvorstellung paßt. Dieses Saitenmodell gibt es in drei verschiedenen Stärken, so daß man den Saitensatz physikalisch wie klanglich an die eigenen Anforderungen anpassen kann. Dabei kann man Saiten unterschiedlicher Stärke in einem Saitensatz nach Bedarf mischen.
Die Informationen des Herstellers findest Du hier:
http://www.savarez.com/new-tensions-corelli-solea-violin-set

 

Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg für Deine Projekte.
Der Stehgeiger

jd65 Profilseite von jd65, 14.05.2023, 17:20:26

Hallo Stehgeiger,

zunächst vielen Dank für deine ausführliche Antwort!

Seit ich den Thread vor zwei Monaten gestartet hatte, hat sich einiges getan, insofern ist die Ausgangslage nun eine etwas andere, als damals geschildert.
Ich habe es nämlich nun endlich geschafft und meine Geige zum Geigenbauer meiner Wahl gebracht (der nicht gerade bei uns um die Ecke ist). Dort wird sie nun durchgecheckt und die eine oder andere Reparatur durchgeführt.
Durch die lange Pause, die ich gesundheitsbedingt in Sachen Geige einlegen musste (ich habe mehr als 10 Jahre überhaupt nicht mehr gespielt), habe ich offensichtlich auch die eine oder andere Sache nicht mitbekommen oder auch vergessen. So fiel mir letztes Jahr, als ich wieder mit Üben begonnen hatte, der relativ große Abstand zwischen meinen Saiten und dem Griffbrett überhaupt nicht auf, bzw. ich habe ihn nicht hinterfragt. Dem Geigenbauer fiel das natürlich mit als erstes auf. Die Ursache dafür wurde auch gefunden und es wurde gemeinsam entschieden, dass die Geige ein neues Griffbrett bekommt, mit einem Keil unterlegt. Derzeit spiele ich auf einer Leihgeige, dort sitzt das Griffbrett wie es soll. Und da ist das mit den Quinten-Griffen einmal gleich eine ganz andere Sache. Nicht, dass ich da über Nacht ein Experte geworden wäre, aber das geht jetzt schon viel einfacher.
Dann zur Frage der Saiten: ja, auf der Leihgeige sind (bis auf die E-Saite) nämlich auch Obligatos aufgezogen, und die lassen sich deutlich leichter herunterdrücken als meine alten aus dem Jahr 2000. Allerdings: die Cadenzas sind in dieser Hinsicht noch einmal deutlich besser.
Und in Sachen Klang habe ich mich ehrlich gesagt an die Cadenzas nicht nur gewöhnt, sondern sie sagen mir mittlerweile mehr zu als die Obligatos. Ich habe da auch in meiner Frau eine kritische Zuhörerin. Sie war Anfang März sofort der Meinung, dass die Cadenzas viel besser klingen würden, weil sie den Charakter meiner Geige besser zum Ausdruck bringen würden, während die Obligatos mit ihrem eher dunklen/warmen Klang diesen Charakter eher verfälscht hätten. Vor dem Hintergrund habe ich mir jetzt schon einmal einen weiteren Satz als Reserve besorgt.
Es gibt aber doch einen Grund, warum ich vielleicht doch noch weiter experimentieren könnte, und das sind Pizzicati. Entweder muss ich mich da mit der Technik nochmal übend beschäftigen, oder es ist tatsächlich so: vor allem auf der E-Saite klingen sie nicht so gut, wie es bei den Obligato-Saiten der Fall war. Und zwar nicht unbedingt bei leisen Pizzicati, sondern eher bei den lauteren. Und das ist für die Beethoven-Sonaten nicht ganz unwichtig, ich denke da an die Nr. 9...
Auf jeden Fall werde ich die Corelli-Saiten einmal im Hinterkopf behalten, sie hören sich für mich durchaus interessant an.
Noch am Rand, weil du es erwähnt hattest, etwas zu pfeifenden E-Saiten. Die Problematik ist mir bestens vertraut. Bevor ich so ca. im Jahr 2000 auf die Obligato (mit Goldstahl-E) umgestiegen bin, hatte ich lange Zeit die Pirastro Oliv Darmsaiten gespielt, ebenfalls mit der Goldstahl-E (das ist ja sowieso in beiden Fällen exakt die gleiche Saite, die unterscheiden sich nur in der Farbe der Anspinnung am Saitenhalter). Und diese E-Saite ist für die genannte Problematik ziemlich berüchtigt.
Auf der Leihgeige ist nun neben den Obligatos (G, D und A) eine Goldstahl-E-Saite aus der Produktlinie Evah Pirazzi aufgezogen. Hier ist das Trägermaterial ein anderes. Und das merkt man: diese Saite pfeift definitiv nicht.
Mit freundlichen Grüßen, jd65

Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 08.06.2023, 16:57:13
Hallo jd65,

zu Deinem Pizzicato-Problem kann ich folgendes beitragen:

Eine angezupfte Violinsaite klingt recht schnell aus. Dieser sogenannte Sustain läßt sich ein wenig verlängern, indem man mit dem greifenden Finger die Saite so fest wie möglich aufs Griffbrett drückt um den Energieverlust der Saitenschwingung an dieser Stelle zu minimieren.
Im Frequenzspektrum der angezupften ausklingenden Saite verschwinden die Obertöne am schnellsten und zwar umso schneller, je höher ihre Frequenz ist. Das ist der Grund weshalb der angezupfte Ton sehr schnell an Brillanz und Tragfähigkeit verliert und dumpf und unscheinbar wird. Entscheidend für ein gut hörbares, brillantes und scharfes Pizzicato ist also der von der Saitenschwingung erzeugte Klang unmittelbar nachdem der zupfende Finger die Saite verlassen hat.

Physikalisch gesehen braucht man für ein prägnantes, gut hörbares Pizzicato im Frequenzspektrum also einen großen Anteil an hohen Obertönen mit möglichst großer Amplitude. Der Anteil der hohen Obertöne an der Saitenschwingung und deren Amplitude ist um so größer, je schärfer die Spitze des Helmholtz-Peaks ist der die gestrichene Saite entlangläuft. Bei einer gezupften Saite sind es sogar zwei Helmholtz-Peaks die auf der Saite in entgegengesetzte Richtungen laufen. Während die Helmholtz-Peaks auf der Saite wie zwei Wellenberge hin- und herlaufen verlieren sie durch den Wellenwiderstand der gespannten Saite Energie. Auch der Resonanzkörper entzieht der schwingenden Saite Energie, vorallem über den Steg. Da die Amplitude der hochfrequenten Obertöne kleiner ist als die des Grundtons und der ihm benachbarten Obertöne, verschwinden sie durch diese Energieverluste am schnellsten. Man erkennt dies daran, daß die ursprünglich scharfen Spitzen der Helmholtz-Peaks sehr schnell rund werden.
Überträgt man die Anforderungen für ein scharfes, brillantes und prägnantes Pizzicato auf die obige Erklärung der Klangveränderung durch die Formveränderung des Helmholtz-Peaks, so muß der Helmholtz-Peak in der Saite zu Beginn eine möglichst scharfe Spitze haben. Die Form des Helmholtz-Peaks wird durch das anzupfende Objekt vorgegeben. Gitarristen feilen sich zu diesem Zweck einen Fingernagel oder eine Ecke ihres Plektrons zu einer scharfen Spitze um bei Bedarf durch Anzupfen der Saite mit dieser scharfen Spitze einen sehr hellen, obertonreichen Klang zu erzeugen. Für den Streicher ist es also ebenfalls von Vorteil, wenn die Fingernagelspitze jener Körperteil ist, der beim Pizz. als letzter Kontakt mit der Saite hat.

Wie Du aber selbst festgestellt hast, sind Saiten unterschiedlich, haben einen verschieden großen Wellenwiderstand und sind für ein prägnantes, gut hörbares Pizzicato unterschiedlich gut geeignet.
Wichtigster physikalischer Parameter ist dabei die Biegesteifigkeit der Saite. Je biegesteifer eine Saite ist, desto schlechter können sich Helmholtz-Peaks mit scharfen Spitzen ausbilden, d.h. umso größer ist der Biegeradius der Saite mit dem sie sich um einen spitzen Gegenstand legt, der die Saite anzupft. Für ein gutes Pizzicato benötigt man also eine möglichst flexible Saite mit einer kleinen Biegesteifigkeit. Für nicht umsponnene E-Saiten heißt das, daß sie möglichst dünn und aus einem möglichst flexiblen Federstahl bestehen müssen.
Wie oben beschrieben, spielt auch der Wellenwiderstand eine entscheidende Rolle, weil ein hoher Wellenwiderstand der Saite schneller Energie entzieht. Der Wellenwiderstand einer Saite steigt mit zunehmender Zugspannung. Also auch in Bezug auf diesen Parameter ist eine möglichst weiche Saite mit kleiner Zugspannung von Vorteil, weil ihr Klang nicht ganz so schnell abfällt. Bei einer nicht umsponnenen E-Saite bedeutet dies wiederum, daß dünne E-Saiten die bessere Performance abliefern.
Ein weiterer Vorteil der weicheren Saiten ist ihr kleineres longitudinales Elastizitätsmodul. Dadurch kann man sie beim Anzupfen weiter auslenken. Man muß das auch um ihnen die gleiche Energie zuzuführen wie harten Saiten die für den gleichen Energiebetrag weniger stark ausgelenkt werden müssen. Die zugeführte Energiemenge bestimmt die Lautstärke des Pizzicatos. Diese größere mögliche Auslenkung ermöglicht zusammen mit dem etwas längeren Sustain eine präzisere Wahl des dynamischen Niveaus und dadurch eine nuanciertere Gestaltung.
Ein weiteres Problem ist, daß sich beim Pizzicato die Ebene in der die Saite ihre transversale Schwingung ausführt, um die Ruhelage der Saite dreht, man nennt das die Präzession der schwingenden Saite. Liegt die Schwingungsebene anfangs parallel zur Geigendecke so dreht sie sich und wird nach einiger Zeit senkrecht auf der Geigendecke stehen. Nach der selben Zeitspanne hat sie sich wieder weitergedreht und liegt wieder parallel zur Geigendecke usw.. Je nach Lage der Schwingungsebene resultiert daraus eine andere Anregung des Steges wodurch sich der Klang verändert, insbesondere ist die Anregung des Steges schwächer, wenn die Schwingungsebene senkrecht auf der Geigendecke steht. Weil wie oben beschrieben der Klang des Pizzicatos durch die Schwingung unmittelbar nach der Trennung von Saite und Finger bestimmt wird, ist es daher von entscheidender Wichtigkeit, daß man die Saite so anzupft, daß die Schwingungsebene der Saite gleich zu Beginn parallel zur Geigendecke liegt.
Die Präzession hängt davon ab wie die Saite angezupft wird, was natürlich auch von den physikalischen Parametern der Saite mit beeinflußt wird. Wie oben dargestellt, läßt sich eine weiche Saite anders anzupfen als eine harte Saite, woraus unterschiedliche Präzessionsgeschwindigkeiten und damit ein anderer Klang resultieren können.

In Deinem Beitrag hast Du nicht geschrieben, welche Saiten Du in welcher Stärke verwendet hast. Aber an Hand des physikalischen Hintergrundwissens kannst Du selbst herausfinden woher die Klangunterschiede beim Pizzicato auf den verschiedenen E-Saiten herrühren. Wenn Du die gewünschte E-Saite in der kleinsten Stärke verwendest, werden sich die Probleme beim Pizzicate leichter lösen lassen. Die Verwendung einer weichen E-Saite bietet auch hier einen klaren Vorteil.

Weiterhin viel Spaß beim Üben wünscht Dir
Stehgeiger
jd65 Profilseite von jd65, 10.06.2023, 21:10:50

Hallo Stehgeiger,

wow, das ist ja eine tolle Erklärung. E-Modul sagt mir etwas, aber das kann man bei Saiten ja nicht recherchieren, habe ich zumindest noch nie gesehen. Und das mit dem Helmholtz-Resonator (das ist dann der Geigenkorpus in dem Fall?) muss ich mir nochmal bei Gelegenheit zu Gemüte führen. Physik interessiert mich zwar, ich bin da aber nicht mehr so fit...

Jedenfalls ist jetzt in Sachen Saiten ersteinmal wieder alles auf Anfang. Ich habe nach zwei Monaten meine Geige wieder. Allerdings müssen wir (die Geige und ich) uns jetzt wieder aneinander gewöhnen. ;-)

Durch verschiedene kleinere Reparaturen und ein neues Griffbrett (jetzt mit einem Keil unterlegt), hat sich der Klang der Geige recht deutlich verändert (was auch mein Wunsch gewesen war). Und meine linke Hand hatte sich schon mit der Leihgeige zunächst ziemlich abgemüht, und jetzt ist wieder alles anders (auch anders als früher), vermutlich wegen dem Keil. Dann habe ich endlich meinen Pfretzschner-Bogen wieder bespannen lassen und spiele ihn nach sehr langer Zeit auch wieder, auch das macht wohl einen Unterschied. Jedenfalls klingen die Perpetual-Saiten jetzt viel härter als vorher, und ich muss einmal sehen ob das durch Einspielen der Geige (was sicherlich nötig ist) und Gewöhnung an die neue Situation besser wird.

(Was witzigerweise jetzt wieder besser klingt, sind die Pizzicati...)

Falls ich dann doch wieder die Saiten-Sorte wechseln möchte, dann könnte es gut sein, dass ich bald einmal deinen Tipp mit den Corelli-Seiten ausprobieren werde.

Jedenfalls vielen Dank für die ausführliche Antwort mit dem physikalischen Hintergrund zum Pizzicato!

Mit freundlichen Grüßen, jd65

Neuester Beitrag Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 11.06.2023, 10:16:45

Hallo jd65,


vielen Dank für Deine interessante Erwiderung. Es freut mich zu lesen, daß Du dein Instrument wieder hast und sein Zustand erheblich verbessert werden konnte.


Noch eine kleine physikalische Anmerkung. Meine Argumentation in Bezug auf das Schwingungsverhalten von Saiten bezieht sich nicht auf Helmholtz-Resonatoren und die Helmholtz-Resonanzen des Geigenkorpus sondern auf die Form der Saitenbewegung. Die Saiten schwingen nämlich nicht in Form von stehenden Sinuswellen, wie es noch immer nicht ganz korrekt auch in neuesten Lehrwerken zur Musik dargestellt wird. Vielmehr hat Helmholtz in den beiden Jahren vor 1896 mittels seiner genialen Meßmethoden die tatsächliche Bewegung einer schwingenden Saite ermittelt und in seinem Buch "Die Lehre von den Tonempfindungen" beschrieben: Die vom Bogen erzeugte Anregung der Saite läuft in Form eines Knicks an der Saite entlang, wird am Obersattel reflektiert und läuft zum Bogen zurück. Beim Durchlaufen des Knicks unter der Bogenbespannung löst sich die Saite von der Bogenbespannung und gleitet, der Bewegungsrichtung des Bogens entgegengesetzt, an der Bespannung entlang.Nach dem Passieren der Bespannung läuft der Knick zum Steg um dort erneut reflektiert zu werden und zum Bogen zurückzukehren. Ab diesem Zeitpunkt haftet die Saite wieder an der Bespannung. Dann beginnt wieder alles von vorne.
Dieser Knick wird in der Fachliteratur nach seinem Entdecker meist als "Helmholtz-Kink", "Helmholtz-Peak" oder "Helmholtz-Knick" bezeichnet. In der Hochgeschwindigkeitsaufnahme in folgendem Link kann man die Bewegung dieses "Helmholtz-Peaks" entlang der Saite ab Sekunde 29 sehr schön beobachten:


https://www.youtube.com/watch?v=6JeyiM0YNo4

 

Entsprechend der Frequenz des gespielten Tones, z.B. 196 Hz bei einer leeren g-Saite, macht der Helmholtz-Peak während einer Sekunde 196 komplette Umläufe entlang der leeren g-Saite.


Was die Veröffentlichung von physikalischen Parametern der Saiten angeht, so sind die Saitenmacher sehr zurückhaltend. Deshalb messe ich bei interessant erscheinenden Saiten die Parameter selbst. Beim longitudinalen Elastizitätsmodul kann man sich aber auch sehr gut auf das Spielgefühl in der linken Hand verlassen: bei einem kleinen Elastizitätsmodul hat man ein sehr weiches Spielgefühl. Das bedeutet aber nicht, daß die Saiten deshalb auch eine kleine Zugspannung haben, sondern eben nur, daß sie sich sehr leicht zusätzlich dehnen lassen, was beim Greifen eines Tones durch das Niederdrücken der Saite bis zum Griffbrett auch geschieht. Das sagt jedoch nichts über die gesamte Zugspannung der Saite aus. Diese kann trotzdem sehr hoch sein.


Viel Spaß mit deinem neu eingerichteten Instrument wünscht Dir,
Stehgeiger
 

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