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Hallo,
ich bin neu hier. Um genau zu sein, brauche ich unbedingt eine Einschätzung bzw. einen Ratschlag von anderen Pädagogen.
Hier mein Anliegen: Ich habe gestern eine neue Schülerin bekommen, sie ist sechs und ist äußerst pfiffig. Mir ist bei der ersten, also "Schnupperstunde" aufgefallen, dass sie an der Bogenhand nur vier Finger hat. Der Daumen ist da, es fehlt wohl der kleine Finger. Es sieht nicht danach aus als hätte sie einen schlimmen Unfall gehabt, sondern als sei es angeboren. Natürlich habe ich in der Stunde keinen großen Wert auf die Bogenhaltung gelegt und habe, da sie sehr schüchtern war, auch keine Anmerkung gemacht. Wäre wohl auch sehr taktlos! Sie möchte unbedingt Geige spielen und jetzt zermartere ich mir das Hirn, wie wir das am besten hinbekommen.
Ich bin ein absoluter Gegner von: "Dann soll es dieses Instrument eben nicht sein." und "Vielleicht singt sie ja auch gerne..." Ich denke, dass man irgendeine Lösung finden kann, ich hoffe...
Kann mir jemand von euch helfen oder Tipps geben? Hat jemand von euch auch Schüler mit solch einer Beeinträchtigung?
Ich möchte die kleine nicht aufgeben, da sie keineswegs unmusikalisch ist und setze alles daran, dass sie das schafft!
Ich würde mich über Tipps oder sogar auch eine Lösung, wenn einer sie hat, freuen!
Viele Grüße
Anja
Bin kein Pädagoge, aber: Es gibt für die Kleinen ja Griffhilfen, die sogenannten Bow Hold Buddies. Vielleicht erleichtert ihr das den Einstieg in die Bogenhaltung, bis ihr dann mit der Zeit Strategien entwickeln könnt, wie sie den fehlenden Finger kompensieren kann?
Ich denke, mit der Zeit Strategien zu entwickeln, wird nicht funktionieren. Der kleine Finger übernimmt eine wichtige Funktion: Gemeinsam mit dem Zeigefinger steuert er, mit wie viel Druck der Bogen auf der Saite liegt. Dass heißt nicht, dass Deine Schülerin das Geigespielen begraben muss, es heißt nur, dass von Anfang eine Strategie da sein muss, um das Fehlen des kleinen Finger zu kompensieren. Bedeutet: Der Ringfinger muss die Funktion des kleinen Fingers übernehmen und der Mittelfinger wird zum alleinigen Gegenpol für den Daumen. Prinzipiell sollte das machbar sein. Die größte Herausforderung, die ich dabei sehe, liegt darin, dass der Ringfinger normalerweise ein gutes Stück länger als der kleine Finger ist. Wenn das auch bei Deiner Schülerin so ist, könnte es für schwierig, unbequem oder sogar gänzlich unmöglich, ihn - wie unsereins - den kleinen Finger - mit der Spitze voran auf die Bogenstange zu stellen, sodass die klassischen Bogengriffe für sie nicht funktionieren. Ich sehe zwei Möglichkeiten, dieses Problem anzugehen:
1.: Sie rollt den Ringfinger ein und setzt ihn mit dem Nagel anstatt der Spitze auf die Bogenstange. Ich sehe da allerdings zwei potentielle Probleme. Zum einen könnte der Finger für diese Haltung zu lang order zu dick sein (bzw. wenn die Schülerin älter wird werden) und zum anderen dürfte es schwierig sein, durch den Fingernagel hindurch zu spüren was man macht und zum anderen könnte der Finger
2.: Man macht einen Anbau an ihren Bogen, der einen zusätzlichen, etwas unterhalb der Bogenstange liegenden Kontakt punkt gibt, durch den den Ringfinger ihn einzurollen, als Gegengewicht zum Zeigefinger einsetzen kann. Zum Experimentieren könnte man das erreichen, indem man mit robustem Gummiband einen kurzen Bleistift am Frosch befestigt. Aber als Dauerlösung wäre was zum Aufstecken wahrscheinlich komfortabler, das müsste aber vermutlich extra für sie hergestellt werden.
Im Prinzip könnte das wie diese Türhaken funktionieren, ein Stück oder Plastik in Form eines umgedrehten U mit einem Fortsatz, auf den der Ringfinger gestellt wird, und das von oben auf die Bogenstange gesteckt wird. Man müsste zusätzlich verhindert, dass es rutscht, sei es, indem die Innenseite des U mit rutschhemmendem Material überzogen ist, sei es, indem zwischen den Armen des U eine Spannung besteht, durch sich die Konstruktion am Frosch 'einklipst', seien es irgendwelche Arme oder Haken, die um den Frosch greifen. Ein experimentierfreudiger Geigenbauer könnte da bestimmt eine Lösung finden. Wenn ein solcher nicht in der Nähe greifbar ist, wäre meine nächste Anlaufstelle ein Sanitätshaus. Die müssen ja auch ab und an Hilfsmittel maßfertigen, so dass auch so etwas in deren Skillset fallen könnte. Müsste man aber natürlich vor Ort klären; auch wie viel so etwas kosten würde.
Es wäre wirklich schade, wenn sie wegen dieser Anomalie nicht Geige lernen könnte. Das glaube ich auch nicht. Normalerweise ist der Mensch in der Lage solche Dinge auszugleichen. Es gibt so viele Beispiele, wie fehlende Gliedmaßen ausgeglichen werden. Ich gehe auch bei ihr davon aus, dass sie ganz natürlich eine passende Haltung findet. Vielleicht einfach mal beobachten, wie sie den Bogen hält. Wahrscheinlich lässt sich darauf aufbauen. Ihr eine Haltung aufzuzwingen wäre jedenfalls verkehrt.
Gruß Norbert
Hallo Miss Trouble,
Arantons Vorschlag sich bei einem Fachmann Rat zu holen geht in die richtige Richtung.
Ein Bogenbauer wäre nach meinem Dafürhalten in dieser Sache der kompetenteste Ansprechpartner.
Der Bogenbauer weiß um den richtigen Bogengriff und um die Dynamik von Hand und
Fingern beim Bogenstrich. Der Orthopädietechniker eines Sanitätshauses muß schon selbst Streicher sein
um in diesen Bereich Einblick zu haben.
Ein (auf-)klärendes Gespräch mit den Eltern Deiner neuen Schülerin ist sicher Voraussetzung für
weitere Schritte. Dabei kann man auch zwanglos in Erfahrung bringen, was mit der Hand los ist und
wie das Kind im Alltag damit zurecht kommt.
Als nächstes kannst Du bei dir bekannten Bogenbauern telephonisch anfragen, ob einer von ihnen sich
mit dieser Problematik auseinandersetzen möchte. Hast Du einen gefunden, muß sich die kleine Dame
selbst mit zu diesem Bogenbauer begeben. Schließlich muß dieser die Hand und ihre Möglichkeiten kennen
um eine Lösung entwickeln zu können.
Da eine sichere und richtige Bogenhaltung auch bei fünffingerigen Anfängern meist ein längeres
Training erfordert, ist es in diesem Fall gewiß nicht falsch möglichst frühzeitig nach einer dauerhaften
Lösung zu suchen. Ein Herumexperimentieren mit "Übergangslösungen" die nach einiger Zeit wieder
zu Gunsten anderer Techniken "abtrainiert" werden müssen kann erst recht zu Frustration und
Minderwertigkeitsgefühlen führen. Eine sachgerechte Problematisierung des Themas der Schülerin
gegenüber muß nicht taktlos sein. Es kommt darauf an wie man es angeht.
Ich wünsche Dir und Deiner Schülerin viel Erfolg.
Dear MissTrouble
diese Geschichte hat mich nun seit einigen Tagen beschäftigt, zuerst im Herz, dann mental und zuletzt praktisch. Gestern habe ich mich endlich mal konsequent hingesetzt und eine ganze Übungssession mit nur 4 Fingern verbracht. Sicher ist das keine völlig adäquate Simulation, einfach weil mein 5. Finger ja da ist und mit seinem Gewicht doch irgendwie zur Balance beiträgt. Und trotzdem:
Ohne Frage: Es geht. Und dabei hatte ich die Handstellung gar nicht groß verändert und meine Ringfinger, wie sonst auch im letzten Glied auf die Stange gelegt. Zuerst war ich etwas unsicher. Je mehr ich aber das Handgelenk / den Handrücken in Richtung Geige gedreht habe, desto besser ging die Führung. Das irritierende war zuerst der Daumen. Ich hab den Nagel dann bis zum Geht-Nicht-Mehr gekürzt (ich habe eh kurze Nägel). Da wurde es besser. Alle Stricharten gingen zuletzt. Eine Herausforderung war das Spiccato. Ich musste sehr genau den Schwerpunkt des Bogens erwischen. Dann aber ging es. Offensichtlich können wir mit 5 Fingern mehr ausgleichen. Aber sei's drum: genau im Schwerpunkt klappt es gut, sowohl mit leggiero als auch mit spitzen Spiccato.
Zuguterletzt habe ich Mozart 3 G-Dur 1. Satz, Exposition einmal durchgespiellt. Nicht so schön, wie sonst, nicht so sicher, aber immerhin.
Wenn Du also einen Rat möchtest, dann diesen: Probier es selbst aus. Sieh Dir an, wie Deine Schülerin die Probleme löst, probier es mit ihren Lösungen selbst und verbessere diese Lösungen. Und zusammen findet Ihr einen guten Weg.
Aber wahrscheinlich tust Du das ja längst.
P.
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