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JARGAR Superior Saiten ??

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Flitzebogen Profilseite von Flitzebogen, 05.04.2016, 12:50:58
JARGAR Superior Saiten ??

Hallo,

 

ich habe gerade wieder einmal Paganino-Werbung auf mich wirken lassen... U.a. gibt es wohl neuerdings die JARGAR Superior Violinsaiten, zum Sonderpreis von "nur" 109 Euro pro Satz. Die Beschreibung liest sich natürlich wie ein Gedicht. Ich bin einerseits zwar sehr experimentierfreudig, andererseits aber auch zu geizig, um mal eben einen Hunderter in die Tonne zu treten, falls die doch nicht halten, was sie versprechen.

 

Also nun meine Frage: Kann jemand irgendwelche Erfahrungen zu denen schon mitteilen? (Ich weiß natürlich, dass so etwas individuell verschieden ist, aber dennoch sagt alles irgendetwas aus).

 

Hat jemand insbesondere einen Vergleich zu Evah Pirazzi und /oder Evah Pirazzi Gold?

 

Weiß jemand, und das ist jetzt objektiv beantwortbar, ob die Saiten eine eher starke oder weichere Spannung aufs Instrument ausüben? Ich habe jahrelang die grünen Evah Pirazzi gespielt, bis ich irgendwann hörte, dies seien mit die Saiten mit der stärksten Spannung, und aus div. Gründen wäre das gerade für meine Geige suboptimal. Ich habe dann über einen kurzen Umweg zu Pirazzi Gold gewechselt und bin sehr zufrieden. 

 

Trotz Zufriedenheit - neugierig bin ich schon!

 

Vielleicht weiß ja jemand was!

 

Viele Grüße,

Flitzebogen

mike1973 Profilseite von mike1973, 05.04.2016, 15:18:01

Im Forum von violinist.com wurde auch schon über diese Saiten diskutiert, aber offenbar hat sie dort auch noch niemand probiert. Der Preis ist heftig, die Spannung, laut Jargar-Homepage, auch nicht so ohne.

e: 8,3 kp

a: 5,68 kp

d: 4,93 kp

g: 4,80 kp

 

Irgendjemand schrieb auch, dass Jargar mittlerweile schon zu Thomastik-Infeld gehören soll. Weiß jemand darüber etwas?

Mir sind sie auf alle Fälle zu teuer und vor allem ist mir die Saitenspannung zu hoch.

 

Liebe Grüße, Michael

minuetto Profilseite von minuetto, 05.04.2016, 16:07:43
Bei Arc Verona scheinen die Saiten derzeit etwas preisgünstiger zu sein (99 €).
Vielleicht teilweise auch etwas snob appeal bzw ein Hinweis, dass es sich um high end Saiten handelt ?
Zur Spannung kann ich mich nicht äußern; mein Instrument (etwas älter) würde mit solchen Saiten mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit Schaden nehmen.
Gruß, minuetto
Flitzebogen Profilseite von Flitzebogen, 05.04.2016, 19:58:08

Vielen Dank für die Antworten! Die Saiten sind zwar teuer, aber wenn sie die besten für mich wären, kämen sie vom Preis her schon in Frage. Evah Pirazzi Gold ist (mit Silber-G-Saite) zwar etwas drunter, aber es wäre mir einen Aufpreis wert, wenn die Qualität wesentlich drüber läge.

 

Mit den Werten zur Spannung kenne ich mich, offen gesagt, gar nicht aus, aber es ist toll, so eindeutige Zahlen zu haben, danke dafür! Dann kann man sich ja sicherlich auch die Werte anderer Saiten irgendwo zum Vergleich besorgen und einmal tiefer in die Materie einsteigen.

 

Dass eine Geige wirklich kaputt dran ginge, mag ich aber kaum glauben - ist das wirklich so dramatisch?? Evtl. Frage an "Geige"?

 

Aber in der Tat wurde auch mir gesagt, das es für meine Geige mit sehr dünner Decke sicherlich günstiger wäre, nicht unbedingt die allergespanntesten Saiten zu nehmen. Und wenn die Jargar solche sind, dann werde ich die wohl auch nicht so bald versuchen. Die müssten ja dann wirklich einige Klassen besser klingen als die jetzigen, und das ist denn auch wieder unwahrscheinlich.

 

LG, Flitzebogen

Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 11.04.2016, 22:07:34

Hallo flitzebogen!


Um die von mike1973 dankenswerterweise gelieferten Daten zur Saitenspannung des
"Jargar superior" Satzes in Relation zu setzen, hier noch ein paar Daten zu den
Ihnen bekannten Saitensätzen.
(Die Daten stammen aus:
http://www.violinstringreview.com/uploads/1/5/0/1/15014224/tension_set_201409.png
bzw. aus
http://www.orchestral.daddario.com/orchestralTensionCharts.page
sowie aus dem aktuellen Katalog von Thomastik-Infeld.)

 

Der Umrechnungsfaktor von amerikanischen Pound in kp ist: 1 Pound = 0,453 592 kp.
(Zur Erinnerung: die Kraft 1 kp (sprich: 1 kilopond) entspricht der Gewichtskraft einer Masse von 1 kg.)
In folgender Tabelle sind alle Werte in kp angegeben:
Saite:                        G            D             A        E         gesamt
Larsen:                      4,45     4,13         5,49    7,30    21,4
Evah Pirazzi Gold:   4,58     4,72         5,58    7,98    22,9
Evah Pirazzi:            4,99     4,81         5,81    7,80    23,4
Jargar Superior:       4,80     4,93         5,68    8,3      24
Stahlsaitensätze zum Vergleich:
Thomastik Spirocore: 4,6     5,0          6,0       7,5    23
D'Addario Helicore:  4,63    5,21        5,53    8,21    23,6

Der Saitensatz Jargar Superior erweist sich somit als wahrlich "superior" -
nämlich in Bezug auf die auf das Instrument ausgeübten Kräfte.
Seine Gesamtspannung ist höher als die Gesamtspannung populärer
Stahlsaitensätze mittlerer Stärke (D'Addario Helicore und Thomastik Spirocore).
Zum Vergleich habe ich die Spannung eines Saitensatzes angegeben, dessen
Hersteller (Larsen) sich um einen hervorragenden Klang bei möglichst wenig
Spannung bemüht.


Versuch einer Veranschaulichung solcher Kräfte:
24 kp entsprechen der Gewichtskraft einer Masse von 24 kg.
24 kg, das ist fast die Masse eines halben Zentners.
(Ein halber Zentner hat 25 kg.)
Wer schon einen halben Zentner Kartoffeln getragen hat, wird sich
die Größe dieser Kraft vorstellen können.
Eine aus relativ dünnen Brettchen gebaute Holzschachtel mit einem
fingerdicken Holzstäbchen als Abstandshalter zwischen den Brettchen,
wie es bei der Violine ist, muß diesen 24 kp nun Widerstand leisten!
Etwas Mitleid mit dem betroffenen Instrument wäre hier angebracht.


Wer trotzdem glaubt, das wäre nicht so dramatisch und er könne kaum glauben,
daß dabei etwas kaputt ginge kann die Bilder der folgende Webseite
auf sich wirken lassen. Dort wird dokumentiert was die Zugkräfte
bei einem Instrument mit dünner Decke langfristig anrichten
(Durchbruch des Baßbalkens durch die Decke, Stimmriß, ...):
http://www.geigenbauonline.de/tipps-und-tricks-im-Geigenbau.html.


Was darf man von solchen Saiten in Bezug auf den Klang erwarten?
Zunächst kann man sie lauter spielen als andere Seiten, da sie einen
sehr hohen Bogendruck benötigen und vertragen. Aus diesem Grund wird
es gleichzeitig viel schwieriger das Instrument im piano oder gar im
pianissimo zu spielen, denn bei leisen Tönen kommt man schnell an den
Grenzbogendruck bei dem die Saiten noch sauber ansprechen.
Auch ansonsten ist die Physik hier unerbittlich.
Die tieffrequenten Eigenschwingungen des Resonanzkörpers werden durch
den höheren Druck des Steges stärker gedämpft, da sie aus wenigen
großflächigen Schwingungsbäuchen bestehen die meist ein Maximum im
Mittelbereich von Decke und Boden, also in Stegnähe haben.
Die hochfrequenten Eigenschwingungen, die viele kleine Schwingungsbäuche
über die ganze Fläche des Resonanzkörpers hinweg ausbilden, sind von der
Dämpfung durch den hohen Druck des Steges nicht so stark betroffen.
Die hohen Frequenzen werden deshalb stärker herausgehoben.
Der Klang des Instruments wird also heller und schärfer,
auf den tiefen Saiten dagegen dünner und schwächer. Der Klang wird
unausgewogen, die Tragfähigkeit des Instruments nimmt ab.
Bei Schülerinstrumenten mit wenig Klangreserven und Saiten mit
hohen Zugspannungen resultiert all das in einem spitzen, quäkenden
und nasalen Klang.
Bei diesen unvermeidbaren Konsequenzen stellt sich die Frage nach
dem Sinn bei der Entwicklung solcher Saitensätze.
Ist Lautstärke in den oberen Registern allein wirklich so entscheidend
für gute Musik? Der Solist Christian Vachon spricht in seinem Thread
(http://www.violinist.com/discussion/response.cfm?ID=6346)
in diesem Zusammenhang sogar von einer Fehlentwicklung und schreibt
wörtlich "tension is a killer".


Ob sich der Wechsel auf diesen Saitensatz von Jargar für Sie lohnt,
flitzebogen?
Sie deuten an, daß der Wechsel von Pirazzi zu Pirazzi Gold Ihnen zu mehr
Zufriedenheit in Bezug auf den Klang Ihrer Geige verholfen hat. Einen
möglichen Grund dafür können Sie sich aus den obigen Überlegungen
selbst ableiten: die um ein Pfund geringere Zugspannung des Pirazzi
Gold Saitensatzes erlaubt Ihrem Instrument einen sonoreren,
ausgewogeneren Klang der vermutlich auch tragfähiger ist.
Damit hat Ihnen Ihr Instrument möglicherweise einen deutlichen Hinweis
gegeben, daß Sie bei der Wahl künftiger Saitensätze besser in Richtung
kleinerer Gesamtspannung gehen sollten.


Einen Denkanstroß kann noch folgendes kleine Detail liefern:
Die Saitenspannung des weltweit am häufigsten verkauften Saitensatzes
mit synthetischem Kern (der auch von einigen Solist(inn)en
aus Überzeugung gespielt wird) liegt ganz in der Nähe der Werte der
Larsen Saiten im oberen Bereich des Diagramms, aus dem ich obige Werte
entnommen habe
(http://www.violinstringreview.com/uploads/1/5/0/1/15014224/tension_set_201409.png).


Viele Grüße, der Stehgeiger

 

Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 12.04.2016, 10:35:54

Hallo an alle Mitleser!

 

Im obigen Beitrag führt eine kleiner Tipfehler dazu, daß folgender Link nicht richtig funktioniert.

Bitte  entschuldigen sie das Versehen.

Hier die korrekte Darstellung des Links zu den Bildern mit der beschädigten Geige:

 

http://www.geigenbauonline.de/tipps-und-tricks-im-Geigenbau.html

 

Vielen Dank!

Geige Profilseite von Geige, 12.04.2016, 20:34:00

Ach wie lustig, hier schließt sich ja der Kreis:

Die in dem o.g. Link vorgestellte Reparatur habe ich vor 20 Jahren in meiner Angestelltenzeit durchgeführt und fotografiert.

 

Deshalb kann ich folgendes dazu sagen:

Bei der vorgestellten Violine hatte sich tatsächlich der Bassbalken durch die Decke gebohrt. Die Decke war in diesem Bereich teilweise nur 0,6mm stark, was etwa der halben Dicke einer CD entspricht. Das ist viel zu dünn! Deshalb war ein größeres Futter in diesem Abschnitt unbedingt notwendig. Der Stegbereich war weitestgehend von der Stärke in Ordnung. Ein Stimmriss musste mit einem Stimmfutter gesichert werden.

Der Schaden an dem Instrument entstand jedoch nicht durch einen überhöhten Saitendruck. Bei dieser Geige mit der hauchdünnen Decke reichte schon ein normaler Saitendruck aus, um den Schaden zu verursachen.

 

Die Geige aus dem Besitz eines Geigenprofessors wurde zu einem Barockinstrument rückgebaut und die geringere Spannung der Darmbesaitung kommt dem fragilen Instrument zugute.

Neuester Beitrag peerceval Profilseite von peerceval, 23.04.2016, 08:45:28

besten Dank für diesen wirklich aufschlussreichen Beitrag!! Jetzt hab ich das endlich kapiert. Merci.

P.

Geige Profilseite von Geige, 12.04.2016, 11:00:46

 

Die angegebenen Spannungswerte sind leider nur relativ zu sehen, da es kein standardisiertes Messverfahren gibt.

Bei den Messungen müssten die schwingenden Saitenlängen, die Neigung des Halses, Temparatur ect. exakt gleich sein. Hier läßt sich des Ergebnis schön rechnen. Normalerweise sollten jedoch die Messungen innerhalb eines Herstellers vergleichbar sein. Firmenübergreifend kann keine Gewähr übernommen werden.

 

Wie stark die Abhängigkeit zu den umliegenden Faktoren besteht, lässt sich durch einen einfachen Versuch darstellen:

Stimmt man z.B. die G und D Saite komplett herunter, kann man sehen, wie der Ton der A- Saite ansteigt, ohne dass an der A-Saite am Wirbel oder Feinstimmer etwas geändert wurde. In diesem Zusammenhang muss die Spannung heruntergenommen werden, um zum ursprünglichen A Ton zu kommen. Wenn jetzt ein Saitenhersteller nur die einzelne Saite misst, kommt er zu niedrigeren Spannungsergebnissen ......

 

Abgesehen von alten fragilen Instrumenten, denen man keine übermäßige Druck- und Zugspannung zumuten sollte, da es zu Deformierungen führen kann, reagieren die Instrumente unterschiedlich. 

Eine Decke ist vergleichbar einer Membrane, die in Schwingung versetzt werden muss. Festeres und dickeres Holz benötigt mehr Anregung, als eine dünn gearbeitete Decke. Diese Verhältnismäßigkeit des Saitendrucks- spannung zum Holz muss gegeben sein.

 

 

 

mike1973 Profilseite von mike1973, 12.04.2016, 12:05:07
Spannendes Thema :-)
Ich persönlich tu mir immer ein wenig schwer mir Begriffen wie "superior" oder "high end". Mir ist schon klar, dass Saitenhersteller ihre neuen Produkte bestmöglich vermarkten wollen. Aber mich stört dabei, dass dann plötzlich Saiten, die sich über Jahrzehnte bewährt haben und, wie Stehgeiger ja richtig bemerkt hat, von vielen Solisten benutzt werden, dann auf einmal "degradiert" werden. Dominant wurden ja hier im Forum auch schon mal als "Schülersaiten" bezeichnet. Trotzdem sieht man nicht nur viele Solisten sondern auch viele Musiker in renommierten Orchestern, die diese Saiten verwenden.
Hier werden durch Marketingexperten häufig Bedürfnisse geschaffen ("premium", "superior", "gold") und die Meute springt brav auf diesen Zug auf. ;-)
Es ist ja schön, dass es heutzutage so ein großes Angebot gibt, aber manchmal ist es schon absurd, was sich da abspielt. Man muss sich nur mal die entsprechenden Beiträge in den einschlägigen Foren durchlesen, wo manche Leute offensichtlich ihr ganzes Leben damit verbringen, die "richtigen" Saiten zu finden.
Und wenn der Satz mal über 100 Euro kostet, dann müssen die Saiten ja gut sein! :-)
Geige Profilseite von Geige, 12.04.2016, 12:54:54

Wer glaubt denn heutzutage noch der Werbung......

 

Gegenbeispiel: Vor einigen Jahren viel mir aus DDR-Beständen die Saite "Protos Flachdraht" in die Hände. 

Wer wagt denn heutzutage noch, eine Saite mit einer solchen Bezeichnung auf den Markt zu bringen ?

 

Dominant Saiten klingen bei einigen Instrumenten hervorragend, bei anderen Instrumenten kann der Klang insbesondere der D-Saite metallen klingen. Hier ist die Bandbreite zwischen einem sehr guten und schlechten Klangergebnis Instrumentenbedingt recht breit. Es gibt also Stradivari Geigen, die mit Dominant versehen sind und Schülerinstrumente, auf denen die Saite schlecht klingt. Das muss individuell probiert werden. 

 

 

mike1973 Profilseite von mike1973, 20.04.2016, 15:16:12

Hier gibt's einen ersten Test:

 

http://www.violinstringreview.com/spotlight-reviews

 

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