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Hallo in die Runde!
Ich habe eine neue, fortgeschrittene Geigenschülerin, die zurzeit neben elementarer Technik ein einfaches, kleines Stück lernen soll, dieses aber, weil es so einfach ist, dann auf hohem Niveau.
Es gibt dort zwei parallele Stellen, die sich nur durch die begleitende Harmonie im Klavier unterscheiden: Beim ersten Mal geht es von der Tonika zur Dominante, beim zweiten Mal jedoch Tonika, Dominante und dann wieder zurück zur Tonika. Dieser Unterschied gibt diesen beiden Stellen eine jeweils ganz andere Färbung. Da es eine Molltonika ist, hat das erste Mal einen irgendwie offenen, fragenden Charakter, während das zweite Mal etwas Wehmütiges bekommt.
Nunja, an sich spürt man diesen Unterschied, wenn er einem entsprechend ausdrucksstark vorgespielt wird, auch ohne Analyse. Dennoch wollte ich ihn auch beschreiben können, denn zu meiner Überraschung war diese Schülerin sich dieses konkreten Ausdrucksgehalts intuitiv nicht so sicher, wie ich erwartet hätte.
Aber wie erklärt man Tonika vs. Dominante? Ich meine hier vom Wesen her. 1. bzw. 5. Stufe ist eine rein rechnerische Information, die hier weniger wichtig ist. Dieses "Doppelpunktartige" der Dominante, ihr Streben zur Tonika - wie erklärt man das jemandem, der so etwas noch nie bewusst empfunden hat? Sie ist nicht unmusikalisch, aber das ist hier noch sozusagen ein bisschen "Fremdsprache", die sie sich noch verinnerlichen muss auf Dauer. Mein Bratsche spielender Sohn z.B., der fast drei Jahre jünger ist, spürt sofort, was gemeint ist, obwohl man ihm mit Facbegriffen gar nicht kommen darf . Also ein Wunderkind ist er auf gar keinen Fall, nur eben musikalisch vorgebildeter, ich nehme an wegen unseres Musikerhaushalts.
Die Schülerin wird das sicher auch begreifen, aber wie erklären?? (11 Jahre alt, musikalisch und geigerisch sehr interessiert und ehrgeizig).
Danke im voraus,
Flitzebogen
... tonale Funktionen mit der Stufentheorie erklären zu wollen, muss systematisch scheitern. Die Funktionstheorie und die Stufentheorie sind zwei sich ausschließende Theorien (Sprachen zur Beschreibung von tonaler Musik) mit unterschiedlicher Beschreibungsadäquatheit und Erklärungsadäquatheit. Das wird Dir aber kaum weiterhelfen :). Trotzdem ist die Sache eigentlich einfach:
Die Funktionstheorie geht die Sache vom Leitton an: über einer Skala (Dur/moll) gebildete Drei-/Vierklämge (in Terzenschichtung) werden nach ihren Leittonbeziehungen und Überschneidungen mit dem Zentralakkord analysiert:
- C-Dur ist Tonika.
- a-moll ist Tonika-Parallele, weil große Terz (c-e) mit C-Dur gemeinsam
- G-Dur ist Dominate, weil h als Leitton zum C und keine(sic!) sonstigen gemeinsamen Töne mit der Tonika enthalten.
- G-Dur+kleine Septime ist Dominant-Septime Akkord, weil h als Leitton zum C und f als Leitton zum e und keine(sic!) sonstigen gemeinsamen Töne mit der Tonika enthalten.
- e-moll ist
- a) (in erster Linie) Dominant-Parallele, weil große Terz (g-h) mit G-Dur gemeinsam und daher auch h als Leitton zum c dain enthalten.
- b) (in sekunderärem Kontext [z.B. als Durchgang C-Dur / e-moll / F-Dur]) auch Tonika-Gegenklang, weil kleine Terz mit Tonike C-Dur gemeinsam
- F-Dur is Sub-Dominante zu C.Dur, weil einen gemeinsamen Ton mit C-Dur (c) und an sonsten keine gemeinsamen Töne mit der Tonika enthalten.
- d-moll ist Supdominantparallele, weil große Terz (f-a) mit F-Dur (Subdominate) gemeinsam
- usw. usw.
Dein Problem löst sich so auf: Kadenzen haben normalerweise die Form
- a) zwingend: Tonika
- b) optional:
- b.1) optional (Tonikaparallelkonstrukut/ Tonikagegenklangkonstu/ ...)*
- b.2) Subdominante
- b.3) optional (Subdominantparallelkonstrukut/ Subdominantgegenklangkonstu/ ...)*
- c) zwingend
- c.1) optional: Dominante
- c.2) Dominant-Septime-Akkord
- d) Tonika.
Dazu gibt es ein paar Standardabweichungen:
1) T D Tp = Trugschluss [Auflösung durch erneut ansetzendes T (S) D T
2) T D = Halbschluss [Auflösung durch erneut ansetzendes T D T
3) D T = keine offizielle Bezeichung, das Stück beginnt mit der Dominate
usw...,
In Deinen Fall liegt also vor
a) erst Halbschluss vor: Tonika -> Dominante (Man erwartet den nach kommenden Akkordr wegen des Leittons h in der Dominate. Die Erwartung wird gebrochen.)
b) dann ein Vollschluss T -> D -> T
hoffe, das hilft auf die Schnelle
P.
Hallo zuürck,
danke für die detaillierten Ausführungen. Grundsätzlich ist mir natürlich der Unterschied zwischen Funktions- bzw. Stufentheorie bekannt, nur dass die Dominante sich auf der 5. Stufe der Grundtonart befindet, ist ja immerhin ein erwähnenswerter Fakt, den man in der Musikausbildung durchaus in seinen Kopf verankern darf.
Der Hinweis mit dem Leitton ist ein sehr guter - vielleicht kann man ja über eine Melodie herangehen und auf dem Leitton stehen bleiben, um dessen hoch strebende Wirkung erspüren zu lassen, bevor man ihn mit dem Dominantdreiklang einrahmt.
Das werde ich mir für zukünftige Problematiken merken! Zukünftig, denn:
Hier muss ich mir selber ganz schön stark vor den Kopf hauen - es ist überhaupt nicht die Dominante in dem Stück - arrrgh! Fast zu peinlich, einen solchen Fehler zuzugeben, aber immer schön offen und ehrlich im anonymen Netz... ;-)
Es ist, nun korrigiert: wie gehabt eine Molltonika (a-Moll), dazu im Wechsel D-Dur, also eine "verdurte" Subdominante. Sie hat natürlich einen tatsächlich etwas weniger zwingenden Charakter. So, wie die beiden aber hin- und her pendeln, ist deren Wirkung in genau dem Kontext dennoch qualitativ vergleichbar, nämlich zuerst offen, dann abgeschlossen.
Gott sei Dank bin ich beim Unterrichten nicht auf der Begrifflichkeit herumgeritten, das wäre ja noch schöner! Worauf ich der Schülerin gegenüber aber bestehen wollte und will, ist, dass die Interpretation, und demzufolge dann die geigerische Umsetzung diese harmonischen Wirkungen unterstreichen und dem Hörer darstellen sollen. Und was nun, wenn ein Schüler diese harmonischen Abfolgen einfach nur mit einem Schulterzucken hinnimmt?
Ich hatte gedacht, bei einem Kind würde ein einfaches Hinhören, was da passiert, reichen, um die Harmonien sozusagen selber sprechen zu lassen und hatte nicht erwartet, überhaupt viel erklären zu müssen. Mir hatte man als Kind lange Zeit gar nichts funktionstheoretisch erklärt, ich bin immer nach Intuition gegangen, um die Stücke zu gestalten. Das mache ich im Grunde heute auch noch so, nur weiß ich (normalerweise...Mensch, wie blöd von mir eben!), was ich da tue und warum.
Ich hätte als Kind also zur ersten Stelle vielleicht gesagt "die ist hoffnungsvoll" und zur zweiten "die ist traurig", und dann versucht, es entsprechend zu spielen. Was aber, wenn das Kind eben nicht intuitiv einen Unterschied und dessen Wirkung wahrnimmt? Dann spielt es beide Stellen gleich, und das Stück ist in seiner Bedeutung verkannt und belanglos geworden. Wenn ich dann als Lehrerin behaupte, eine Stelle sei "traurig", oder was auch immer, so muss ich das begründen können.
Daher noch einmal die Frage, vielleicht etwas allgemeiner gestellt: Wie macht man einem Schüler bestimmte Wirkweisen von harmonischen Abfolgen klar, wenn sie nicht automatisch wahrgenommen werden?
Eine ganz andere Baustelle (auch nicht bei dieser Schülerin), aber ein ähnliches Grundproblem: Wie erklärt man z.B. das Besondere an einer Oktave? Für mich und wohl die meisten ist klar:"Das ist der gleiche Ton", nur eben höher bzw. tiefer. Na klar gibt es die physikalischen Erklärungen, doppelte Schwingungszahl, halbierte Saitenlänge etc. Aber wenn man dann entgegnet bekommt, es sei aber doch ein "anderer" Ton, weil eben nicht ganau derselbe, und dann die Oktave auch nur irgend ein Intervall von vielen ist, dann finde ich es schwieig, an der Stelle etwas Passendes zur Veranschaulichung zu finden.
Theoretische Erklärungen erklären eben nur das, was bereits zuvor intuitiv erfasst worden ist. Dieses intuitive Erfassen ist aber offenbar nicht selbstverständlich. Und dort die Schüler zu packen, finde ich sehr schwer.
LG, Flitzebogen
"Das ist der gleiche Ton", nur eben höher bzw. tiefer.
Absolut korrekt, da der "Ton" immer nicht nur aus einer einzigen Frequenz besteht sondern aus vielen unterschiedlichen Frequenzen.....
Stelle Dir mal eine Schwingungswelle vor (Sinus), dann halbiere die Frequenz (das ist die Oktave tiefer) und Du wirst keine neuen Nulldurchgänge finden - somit ist der neue tiefe Ton im alten "vollständig zu finden".
Oder vielleich ein Klangerklärungsansatz: Der kleinste (und am besten zu hörende) Oberton eines jeden Tons ist die nächsthöhere Oktave, ist also bestimmender Bestandteil des Tons und somit ergibt sich eine sehr hohe klangliche Ähnlichkeit. Vielleicht funktioniert das Flageolett deswegen auch so gut ?!
Übrigens: JEDE höhere Oktave ist Bestandteil des Obertonspektrums. Das ist bei KEINEM anderen Intervall so - die anderen Intervalle kommen erst nach und nach hinzu (als erstes die Quinte nach 1,5 Oktaven als 2. Oberton).
Viele Grüße
MS
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