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Beratung und der Einzelhandel stirbt zum Teil im Geigenbau

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Geige Profilseite von Geige, 21.06.2016, 13:00:35
Beratung und der Einzelhandel stirbt zum Teil im Geigenbau



Auch im Zubehörhandel des Geigenbaus hat der Internethandel gravierende Spuren hinterlassen. 

Meine Aufgaben als Geigenbauer sehe ich bislang immer u.a. in der Dienstleistung und dem Service der Beratung als wichtigen Bestandteil. So z.B die Saitenberatung (auch durch Testsaiten). Es lässt sich nie genau vorhersagen, welche Saite ideal zum Instrument passt.

Das funktioniert jedoch nicht mehr.

Dass soetwas wirtschaftlich mitlerweile nicht nur unrentabel, sondern ruinös ist, möchte ich einmal an dem Beispiel "Violinsatz Pirastro Obligato" darstellen: Der Verkaufspreis in dem ofiziellen Pirastro Preiskatalog beträgt für den Saitensatz 130,80 Euro. Im Einkauf erhalte ich als Geigenbauer diesen bei Pirastro für brutto 77,83,-Euro zzgl. Porto. Aufgrund meiner wirtschaftlichen Veranlagung gegenüber dem Finanzamt bin ich verpflichtet, meinen Warenbestand im Voraus zu versteuern. Das heißt für den Saitensatz, der unverkauft in meinem Geschäft liegt müssen bereits im Vorfelde etwa 30,-Euro ans Finanzamt abgeführt werden, die im Verkaufsfall gegengerechnet werden. Im Internet wird dieser Saitensatz jedoch bereits für 69,-Euro inkl. Porto angeboten. Große Abnahmemengen von Internethändlern mit entsprechenden Einkaufsrabatten und minimalsten Margen drücken den Handel vor Ort an die Wand und machen ihn kaputt. 
Vor einiger Zeit habe ich einer Kundin etwa eine dreiviertel Stunde mit Testsaiten für eine A-Saite beraten. Sie bat mich anschließend meinen Computer nutzen zu dürfen, um meinen Verkaufspreis, der bereits 20% unter dem offiziellen Preiskatalog lag gegenzuchecken (naiv?).... Die wenigen Kunden, die noch bereit sind, diesen Service als "nicht Kostenlos" in Anspruch zu nehmen, lassen ein wirtschaftliches Warenlager nicht mehr aufrecht erhalten.

Ich habe mein Saitenlager mitlerweile um etwa 80% reduziert, um keine veralteten Sachen anzubieten. Die Vielfalt des Vororthandels geht verloren.

Ein Geigenbauerkollege erzählte mir, er hätte einem Kunden, der mit einem Internetpreis ankam und einen entsprechenden Satz Saiten haben wollte demonstrativ einfach 5,-Euro in die Hand gedrückt und gesagt: Bitte nehmen Sie das Geld hier und gehen Sie. Ich mache damit weniger Verlust....... 

Am Zahn der Zeit wird man nicht drehen können, dafür ist die Trägheit der Masse zu groß und die Bequemlichkeit vom Schreibtisch aus zu bestellen zu verlockend. Als Geigenbauer habe ich ein anderes wirtschaftliches Rückrat (viele Mietinstrumente, Reparaturen und Instrumentenverkäufe). Damit kann ich diese Problematik kompensieren. Musikhäuser, die nur von internetvergleichbaren Artikeln leben, haben bereits vielfach verloren. 


Wenn ich mir einmal als Beispiel die Firma Thomann mit Sitz in dem kleinen Ort Treppendorf ansehe:

Bildschirmfoto_2016-06-21_um_09.55.33 Foto Google Maps

Man könnte von den Ausmaßen her meinen, hier würden Containerschiffe gebaut. Ich glaube etwa ein Dutzend Tore sind dort, an denen LKW`s täglich mit Waren beladen werden. Dieses Handelsvolumen wurde früher über die vielen kleinen Musikhäuser (und auch Geigenbauer) in jeder mittelgroßen Stadt bewerkstelligt.


Bei mir zu Hause gibt es in der Innenstadt eine Ladenpassage, die schon seit längerem einen Leerstand von ca.80% hat. Warum wohl und wohin wird das noch führen? Nur noch tote Städte und vereinzelnd riesige Lagerhallen? 
Ich habe diesbezüglich mit Herstellern und Großhändlern mehrfach gesprochen, dass die derzeitige Geschäftspolitik für den Einzelhandel so nicht mehr funktioniert. Ein Umdenken mit Sonder - Einkaufspreisen für den Vororthandel findet zwar teilweise statt, um diesen nicht komplett zu verlieren. Ob das langfristig ausreicht wird sich zeigen. Meine Preise liegen bei Saiten 20% unter dem VKP, damit liege ich über dem Internetpreis, Kunden diese Problematik jedoch zu erklären ist sehr zeitaufwändig und meistens nervig. Die mir entgegengebrachten Lösungsvorschläge, ich solle dann doch auch bei z.B. Thomann bestellen funktionieren nicht.


Zu guter letzt: Ich bin froh noch ein Geigenbauer zu sein und kein Paketepacker;) 
Als Freund des Vororthandels habe ich eigentlich keine gute Lösung parrat und resigniere zwischenzeitlich manchmal......Im Grunde genommen ist auch dieses Forum teils ein Gegenspieler des Einzelhandels. Die Forenteilnehmer diskutieren darüber, wo Dinge zu bestellen sind und als Einzelhändler trage ich die Kosten der Bereitstellung dieses Forums.... nun ja, so ist es halt.


Die Hoffnung stirbt zuletzt ;)

Christian Adam - Geigenbaumeister

Fiddletroll Profilseite von Fiddletroll, 21.06.2016, 14:20:57

Hallo Christian Adam,

 

ich kann deine Frustration sehr gut nachvollziehen. Und die damit verbundenen Existenzängst. Selbständig zu sein bedeutet immer, mehrere Wurzeln im Boden zu haben, damit immer genügend Wasser und Nährstoffe fließen. Verdorrt eine Wurzel, dann ist das bedrohlich.

Auch ich habe große Zweifel, dass das Leben durch Onlineshopping angenehmer wird. Die "digitale Revolution" in der wir leben, hat auch noch lange nicht ihre gesamte Kraft entfaltet, ganze Branchen konzentrieren sich auf wenige Anbieter, für kleine Selbständige bleibt nur der Rückzug in eine kleine, gepflegte Marktnische. Als Geigenbauer hast Du dafür gute Voraussetzungen: seltenes und hochspezialisiertes Fachwissen, ein hoher Anteil von Kunden mit Respekt und Anerkennung, sowie eine Tradition, die eine Gestaltung der Marktnische für den Kunden nachvollziehbar gestaltet.

 

Natürlich tut das mit den Saiten weh. Mach doch einfach aus dem Service ein "Servicepaket" mit transparenten Kosten: Saitenberatung inklusive Testsaiten, je angefangene Viertelstunde nen 10er und die Saiten gibts anschließend zum T-Preis. Das ist für jeden Vernunftmenschen nachvollziehbar und die, die meinen auch dafür nicht bezahlen zu müssen, die bestellen ihren Kram eben außerhalb. Das FA nimmt Dir in der Ecke ohnehin alles weg, wenn Du Lagerhaltung und Aufwand ehrlich rechnest. Überlege neue Dienstleistungen: China-Geige einrichten, E-Geigen spielbar machen, ominöse Dachbodenfunde beurteilen und aufmotzen, Carbonbogenvitalisierung. Je spezialiserter das Angebot, desto einfacher ist das Marketing. Nutze dein Forum deutlicher für Eigenmarketing, schau mal in die Welt der E-Geigen, das ist mit Sicherheit ein wachsender Markt, in dem gute Konzepte noch Entwicklungschancen haben.

 

Ja, der Thomann, der hat den gesamten Musikalienmartk in Deutschland überrollt. Das war aber kein Zufall, sondern frühzeitiges Erkennen von Entwicklungen und konsequente Entwicklung eines wirklich unfassbar gut gemachten Webshops. Da einzukaufen, das macht echt Spaß, und ich bin bekennender Regionaleinkauffan...

 

Du hast eine tolle Internetseite mit dem Laden. Schau sie dir mal aus Kundensicht an und überlege mal, mit welchen Suchworten die dich mit ihrer "Laiensprache" finden sollen. Diese Begriffe brauchen Artikel, Inhalte, Vorberatung, aber nichts, was den Ladenbesuch ersetzt, vielmehr muss Verständnis für die Kemplexität der Themen geschaffen werden.

 

Mit dem Musiker-Board betreibt auch T ein Forum, ihr seid beide auf ähnlichen Wegen unterwegs. Sobald Du hochwertige Chinageigen findest (ja, die gibt es wirklich), die hier nochmal nachjustierst und ne Marke draus machst, dreht der Wind in deine Richtung. Ich kann ebenfalls lange über diese Zeitenwende sinnieren, meckern, schimpfen bis hin zu tiefem Groll über die einhergehenden Ungerechtigkeiten, aber am Ende geht es immer darum, den Markt im Wandel zu beobachten und die Wellen dieser stürmischen See zu reiten, anstatt darin zu ertrinken...

Geige Profilseite von Geige, 21.06.2016, 17:58:47

Da meine Werkstatt mit einem sehr großen Mietprogramm, Instrumentenverkauf und Reparaturen auf sehr stabilen Füßen steht, muss ich mir  -ohne Onlinehandel zu betreiben- keinerlei Sorgen um die Existenz machen. 

Mit meinem Beitrag wollte ich auch nur einen Denkanstoss über den Wandel im Handel geben und dazu  ein paar Hintergrundinfos aus meiner Branche geben.

 

Unabhängig von meinem Laden fallen mir nur Schritt für Schritt die kleinen Veränderungen in immer mehr Gebieten auf, dass bestimmte Dinge überhaupt nicht mehr vor Ort zu bekommen sind. Und diese Entwicklung wird sicher weiter gehen.

Das gibt mir gelegentliches Grummeln in der Magengegend. 

Eine gewisse Wachsamkeit gegenüber dem Zahn der Zeit versuche ich wahrzunehmen und zu erkennen.

Das ist im Grunde genommen ja alles nichts neues. 

Nuuska Profilseite von Nuuska, 21.06.2016, 23:37:58

Da kann ich nur zustimmen: in meiner 240.000-Seelengemeinde nebst Umland gibt es genau noch einen einzigen Buchhändler (zumindest in der Innenstadt), der aus dem Einheitsbrei sticht. Haushaltswaren - gibts nur noch in den Möbelhäuser, und überall das gleiche langweilige Sortiment. Werkzeug - Baumarkt (Kette). Sportartikel? Und so weiter. Und überall  immer nur der selbe Kram. Ich persönlich nutze ebenfalls reichlich Online-Shops, obwohl ich eigentlich lieber fußläufig kaufe, weil ich viele Dinge gar nicht mehr vor Ort so bekomme, wie ich sie gerne hätte. Oft sind das gerade kleine, spezialisierte Händler, oder sogar direkt vom Hersteller (wie z.B im Falle des für meine leidgeprüfte und abgenudelte Halswirbelsäule einzig erträglichen Kinnhalters...)

Was mir ein wenig Hoffnung gibt: wir haben noch einen Schneider, einen Schuster, ... eine Bogenmacherin, und drei (!) Geigenbauer.

Die Chinageigensache ist so ein Ding, da kann man sich (auch bei ordentlicher Qualität) schnell mal die Finger verbrennen bzw. den Ruf anpatzen. Wer zum Geigenbauer geht erwartet sich meistens mehr als ein spielbares Instrument (hoffe ich jedenfalls), und wer möglichst billig kaufen will anstatt vorerst mal preiswert zu mieten, der muß sein Lehrgeld erst bezahlen. 

 

Hat schon mal jemand darüber nachgedacht, eine Einkaufsgenossenschaft hochzuziehen? Gibts ja auch schon in anderen Branchen. Ich weiß ja nicht ob sich das finanziell lohnen würde für euren Berufsstand, aber wenn man sowas deutschlandweit z.B. über den VDG aufziehen würde käme doch schon eine ordentliche kritische Masse zusammen? Und gar so viele taugliche Saitenhersteller gibts ja nun auch nicht... Und dann ist da ja auch noch das restliche Zubehör.

 

Ich gönne meinem Geigenbauer tatsächlich jeden Cent an Umsatz den er hat mit mir. Aber ich bin auch nicht mehr der Student, der den ganzen Sommer ins Stahlwerk jobben geht um die Schulden (Brot, Butter, Miete...) aus dem abgelaufenen Jahr abstottern zu können. Damals hätte ich von den € 61,80 Preisdifferenz für o.g. Saitensatz gut und gerne 5-6 Tage gelebt (zugegeben, es sind 14 Jahre vergangen seither...). Und unter dem Gesichtspunkt habe ich auch wieder Verständnis für die, deren Hoffnung und einer bill... preiswe... also sagen wir mal, erschwinglichen Chinageige ruht. Was auch immer das dann ist. (Und obwohl ich das Roulettespiel am Flohmarkt noch für vernünftiger halte...)

Für die Knickrigkeit derer, die es eigentlich nicht nötig haben sollten, und denen ein derartiges Konsumverhalten oft genug selbst wirtschaftlich den Boden entzieht, habe ich tatsächlich wenig Verständnis. 

Geige Profilseite von Geige, 22.06.2016, 08:24:55

Für eine Einkaufsgenossenschaft muss eine Infrastruktur gleich einem Großhandel bestehen und das lohnt sich in dem Segment Zubehörhandel nicht. Zumal sich das Einkaufsverhalten der Masse erheblich verändert hat und dieser Prozess fortschreiten wird. Die Aussage  meines Paketlieferanten: "Es macht mich fertig, den Leuten das Katzenfutter in den 4 Stock zu tragen" ist für mich hier symtomatisch.

Wie sieht es denn im Geigenbau im Allgemeinen aus?

Das wegbrechende Zubehörsegment wird durch teurere Reparaturkosten, Handel mit nicht vergleichbaren Artikeln, Mieteinnahmen ect. wegkompensiert und das funktioniert wirtschaftlich gesehen noch. Anders sieht es bei den Musikhäusern aus. 

Die Erwartungshaltung, dem Kunden ein großes Sortiment an Kästen und Saiten im Vorrat bereitzustellen ist mittlerweile ein Luxus, den sich der jeweilige Geigenbauer als Hobby leisten mag. Komplett ausklinken werde ich mich hier auch nicht und betrachte dies als sogenannte Mischkalkulation und Serviceleistung. Zu dem o.g. Obligato Rechenbeispiel: den Satz Saiten biete ich für 80,-Euro im VK an. Da bleibt ein knapper Euro hängen.....soviel zu meinem Hobby.

Zeitaufwändige Beratungen durchzuführen mit dem Ergebnis, dass Artikelnummern aufgeschrieben werden, sind jedoch so unerquicklich, dass dieses Angebot bei mir nur noch bedingt durchgeführt wird.

Die Alternative, den Mund erst dann aufzumachen, wenn eine Beratungsgebühr entrichtet wurde, widerstrebt andererseits erheblich meinem Naturell.

 

P.S. Ich jammere hier auf hohem Niveau, da die Werkstatt an sich sehr gut läuft. Also bitte nicht Mißverstehen, es geht mir nicht um die Erschließung neuer Geschäftsmodelle, sondern explizit um das Verhalten gegenüber dem o.g. Problemsegment. 

 

P.P.S. Vor 5 Min. kam die neue Pirastro Preisliste hereingeflattert - der Satz Obligato liegt jetzt im EVP bei 138,30€....

 

Nuuska Profilseite von Nuuska, 22.06.2016, 22:31:20

Hm. Da ist was dran, Katzenfutter ist schon krass...! 

 

Spaß beiseite, ich verstehe Ihren Punkt vollkommen. Das heißt, es ist im Sinne der Mischkalkulation letztlich notwendig diesen Service für "gute Kunden" aufrechtzuerhalten um niemanden zu vergraulen, aber lohnen tut sich's wegen der Schmarotzer primär nicht und wird es auch nicht wieder. Artikelnummern aufschreiben... geniert selbst die musikalischen Leute überhaupt nichts mehr?! (Das sind dann aber keine Stammkunden, oder???)

 

Mich plagt ein ähnliches Lagerhaltungsproblem beim Notenkauf: bestellen kann ich selber auch wenn ich schon genau weiß was ich will, dann muß ich wenigstens nicht zweimal in den leeren Laden rennen. Nun, mehrmals im Jahr komme ich nach München oder Wien, da funktioniert das noch vereinzelt und ich kann auch zum Schmökern in einen Laden gehen und decke mich ein. Bei mir zu Hause (Stadt mit Musikuni, mehreren Orchestern, Konzerthaus und Musiktheater) ist sowas nicht mehr drin. Dafür kann man nun im ehemaligen Notenladen auch günstige Anfängerinstrumente, CDs und immerhin jeweils ca. zwei verschiedene Sätze Gitarren- und Violinsaiten bekommen... Hier bekam man bis vor kurzem sogar noch so manche Studienpartitur... *seufz*

Onlinebestellungen... fast jeder macht es zumindest ab und zu, oft geht es auch schon gar nicht mehr ohne. Und wir sagen am Ast, auf dem wir sitzen. Soviel sollte jedem klar sein.

Sysopa Profilseite von Sysopa, 23.06.2016, 11:28:28

Das Problem ist vielschichtig und hat in meinen Augen nicht "eine Ursache", sondern ist eine Summe verschiedener Faktoren - teilweise auch einer Spirale. 

 

Ich selbst gehöre zu den Menschen, die gerne etwas "gleich in der Hand" haben - und gebe dafür (in einem gewissen Rahmen) gerne auch mehr aus, als ich im Onlinehandel bezahlen würde. Sehr oft bin ich aber gezwungen (!) online zu bestellen, weil ich keine Chance habe, die Dinge lokal zu bekommen - und wenn, dann (aus Kundensicht) zu Phantasiepreisen.

 

Aktuell kostet ein Satz Tonica bei Thomann 21,90 Euro. Als ich vor einiger Zeit mal kurzfristig einen Satz brauchte, war die einzige Chance hier in Hannover ein Musikgeschäft, wo man dafür 48 Euro, also fast 220% (!) des Thomann-Preises verlangte... Das ist etwas, was (aus Kundensicht!) einfach nicht zu verstehen ist.

 

Ein anderes Beispiel ist ein einfacher Wand-Wasserhahn mit Einhebelmischer: Alle Baumärkte abgeklappert, Sanitärgeschäfte... keine Chance. Gar nicht erst zu bekommen.

 

Und somit beißt sich die Katze in den Schwanz: Der Handel baut Sortiment ab - und weil der Handel Sortiment abbaut, können selbst die, die eigentlich lokal kaufen würden, dies nicht mehr tun... schwierig.

 

Liebe Grüße

Thomas

Geige Profilseite von Geige, 23.06.2016, 15:16:55

Gerade Pirastro betreibt eine ungewöhnliche Preispolitik wider dem Einzelhandel.

In der gerade neu von Pirastro erschienen Preisliste steht der Tonika Violinsatz sogar mit EVP 75,80 Euro (mit Alu E-Saite 81,90 Euro)  drin!

Größere Mengenabnahmen werden für den Händler mit enormen Preisnachlässen bedacht.

Bestelle ich einen einzelnen Satz Tonica  als Geigenbauer  direkt bei Pirastro, zahle ich im Einkauf brutto 45,10Euro zzgl Porto. 

Bei größeren Mengen gibt es entsprechende Rabatte. Da mittlerweile viel über das Internet bestellt wird lohnt sich der Kauf in großen Stückzahlen nicht für jeden Einzelhändler, um keine veralteten Sachen anzubieten.  Da ich viele Mietinstrumente habe, bestelle ich zwar durchaus eine größere Menge

Sätze einer Sorte (nicht Tonika) und könnte dadurch Plusminus 0 mit Thoman mithalten. Aber auch das ist keine wirtschaftliche Basis.

Ein anderes Beispiel: die Pirastro Korfker Schulterstütze steht mit 308,40Euro im neuen offiziellen Katalog. Beim Großhändler habe ich sie für netto145,-Euro für mich selber gekauft. Im Internet gab es sie bereits für 91,-Euro. Welcher Einzelhändler/ Geigenbauer legt sich bitte schön soetwas noch ins Geschäft. Wegen dieser Sache habe ich ein langes Telefongespräch mit Pirastro geführt. Man hat mir gesagt, dass es hier keine rechtliche Möglichkeit gäbe einzuschreiten. 

Anderes Beispiel: Miele Waschmaschinen findet man mit Preisdifferenzen zwischen Internet und Einzelhandel vor Ort mit maximal 10%. Da funktioniert es?!  Das Problem liegt meines erachtens daran, in wie weit sich der Großhändler/ Hersteller von großen Internethändlern mit Rabatten bearbeiten lässt und inwieweit das Interesse des Herstellers besteht die Produkte auch vor Ort Präsent haben zu wollen. 

 

Dazu muss ich sagen, dieses auseinander Driften findet nicht in allen Zubehörbereichen statt. Diverse GEWA Kästen z.B. und  Saiten anderer Hersteller lassen sich auch für den Einzelhandel so kalkulieren, dass der Einzelhändler mit dem Internet konkurieren kann. GEWA bietet zum Beispiel dem Geigenbauer ein Special an, damit der Vororthandel bestehen bleibt. Deshalb gibt es durchaus bestimmte Dinge, die beim Geigenbauer preislich gleich oder sogar günstiger sind. Nur solche Preisdifferenzen, wie mit dem Tonicabeispiel bleibt bei dem Kunden verständlicherweise haften.

Also: nicht alle Sachen sind automatisch im Geschäft vor Ort teurer.

Sysopa Profilseite von Sysopa, 23.06.2016, 21:31:41

Hm... vielleicht kam das falsch rüber - ich wollte mit nichts irgendwen, geschweige Dich, anzweifeln oder gar kritisieren... im Gegenteil: wie ich schon schrieb: ich würde viel lieber zu angemessenen Preisen vor Ort kaufen - lediglich den Missstand nochmal verdeutlichen!

 

Nuuska Profilseite von Nuuska, 23.06.2016, 21:56:23

Letztlich liegt das Problem im konkreten Fall beim Saitenhersteller. Der offenbar nichts dagegen hat, seine Ware auf diese Weise quasi zu verramschen - undsich damit auch ihr oft mühsam und kostspielig aufgebautes Image anzupatzen. Verstehen kann ich das nicht.

Betrifft das alle Hersteller? 

Aranton Profilseite von Aranton, 23.06.2016, 23:23:46

Man sollte nicht so tun, als sei der Einzelhandel vor dem Internet ein Paradies aus kompetenter Beratung und fairen Preisen gewesen. Gerade im Musikalienbereich sind meine Erfahrungen ziemlich übel. Das liegt vermutlich daran, dass ich bisher nur in relativ kleinen Städten gelebt habe, in denen es ein Musikhaus gab, das im Umkreis von 40km keine Konkurrenz hatte. Beratung habe ich da nie erlebt, nur Versuche, mit das teuerste aufzuschwatzen, was auf Lager war. Als ich mich z.B. erkundigen wollte wie sich die "New Formula" Tonica von der ursprünglichen Formel unterscheiden, wurde mir - trotz Konkurrenz durchs Internet - gesagt, der "Billigschrott" würde mich interessieren, wer ernsthaft Geige spielen will, bräuchte Evah Pirazzis. Ohne nach meinen Klangvorstellungen zu fragen. Mir fällt es schwer, da einen durch die Beratung entstehenden Vorteil zur Internetbestellung zu sehen - im Gegenteil, mir Sprüche dieser Art zu ersparen, wäre mir sogar einen Aufpreis wert. In dem Laden kaufe ich nur etwas, wenn es gar nicht anders geht - ich z.B. sofort eine gerissene Saite ersetzen muss. Aber eine Stunde zu fahren, um einen Satz Saiten zu kaufen und dann wieder eine Stunde zurück zu fahren, ist mir - obwohl da durchaus freundlich und, soweit ich das beurteilen kann, auch einigermaßen kompetent beraten wird - dann doch zu umständlich. Wenn ich beraten werden will, und es mit irgendwelchen anderen Besorgungen verbinden kann, mache ich das. Aber wenn ich keine Beratung brauche? Dann bestelle ich schon weil mir die Fahrerei zu umständlich ist, lieber im Internet.

Geige Profilseite von Geige, 24.06.2016, 03:57:24

@Nuuska das betrifft nicht alle Hersteller - wie im letzten Absatz in meinem obigen Beitrag beschrieben. Die Preisdifferenzen zwischen Katalog und tatsächlichem Angebot schlagen bei Pirastro jedoch die größten Kapriolen. 

 

@Aranton - wer eine Beratung nur im Sinne des kurzfristigen Profits begeht, denkt sehr kurzfristig.

Zu der Aussage:" Man soll nicht so tun.....". Dass es im Einzelhandel nur paradiesisch zugeht , hat hier keiner behauptet. 

Zu der Aussage: "ein Musikladen, der in 40km Entfernung keine Konkurrenz hat" wird man die Entfernungsangaben vermutlich in Zukunft sehr viel höher ansetzen müssen. Reine Musikhäuser mit Vollsortiment verschwinden immer mehr.

 

Ich wollte nur zeigen -und das betrifft mich selber, dass eine Verarmung des Warenangebotes immer weiter im Einzelzubehörhandel um sich greift, was ich persönlich sehr schade finde und immer stärker wahrnehme.

Mit meinen Aussagen wollte ich auch nur zeigen, mit welchen wirtschaftlichen Knüppeln zwischen den Beinen der Einzelhandel zu kämpfen hat. Ich bin sehr froh, als Geigenbauer mit meinen unterschiedlichen Standbeinen  noch gesunde Wurzeln zu haben und mir deshalb eine unabhängige, kundenorientierte Beratung, die nicht aus wirtschaftlichen Zwängen heraus besteht, leisten kann.

 

Bavarica Profilseite von Bavarica, 24.06.2016, 07:16:20

Interessante Diskussion. Vielen Dank für die Hintergrundinfos, es ist doch sehr interessant zu wissen, wie manche Preise zustandekommen und warum viele Geigenbauer nicht mehr das ganze Riesensortiment an Saiten und Zubehör vor Ort haben (können). 

 

Nuuska hat es angesprochen - würde sich denn das Notengeschäft für Geigenbauer lohnen? In Deutschland gilt ja auch für Musiknoten Buchpreisbindung. Mir (und ich glaub vielen anderen) geht es so wie Sysopa, dass ich Dinge am liebsten gleich haben will. Noten zum Beispiel. Da kommt man aus dem Unterricht, neue Etüden, neue Stück, juhu, und würde am liebsten gleich loslegen, wird aber ausgebremst, weil man die Noten erst bestellen muss. In München beispielsweise zum Glück gar kein Problem, Musiknoten sofort zu kriegen, phantastisches Notenfachgeschäft, auch obskurere Dinge immer im Sortiment. Es wäre toll, wenn andernorts vielleicht die Geigenbauer gute Anlaufstellen wären, zumindest für die Standard-Streicherliteratur. Würde sich das rechnen?

Geige Profilseite von Geige, 24.06.2016, 07:57:42

Aufgrund der Buchpreisbindung, die auch den Notenhandel schützt, sind solche Geschäfte vor Ort anzutreffen. Von einem  Geigenbauerkollegen in Kiel weiss ich, dass er ein Notensortiment angegliedert hat. Für mich kommt das nicht in Frage, da die Zeit dafür einfach nicht reicht und die Gefahr des Verzettelns zu groß ist. 

Ich konzentriere mich lieber auf die Dinge, die in meinen Fähigkeiten liegen: Die Geige an der Hobelbank bearbeiten und zwischenzeitlich immer gerne auch einmal am Kinnthumbs_up. Dazu übrigens, wer Lust hat und aus der Gegend kommt: Heute Abend spielen wir mit dem Quartett in der Dreifaltigkeitskirche in Kücknitz bei Lübeck das Mozart Quartett KV245, umrahmt von Mozart Messe, Ave Verum, Orgelmesse, Laudate... - also alles Mozart. 20:00Uhr  (kleine Schleichwerbung ;)

Nuuska Profilseite von Nuuska, 24.06.2016, 17:46:33

Danke ich auch. Und je mehr permanente Laufkundschaft, desto weniger Zeit für ungestörtes Arbeiten. Im Neubau oder bei komplexeren Reparaturen braucht das keiner, daß dauernd die Türglocke geht. In größeren Werkstätten mit Angestellten ginge das noch so mit, aber viele Geigenbauer arbeiten alleine. 

Nur, wie gesagt, selbst in einer Stadt mit Musikuniversität, zwei Musikgymnasien, einer Musikhauptschule, beinahe einem Dutzend Standorten der städtischen Musikschule einem Profiorchester, mehreren Laienorchestern und und und... ist ein einigermaßen interessantes Notensortiment vor Ort nicht mehr selbstverständlich. Das funktioniert nach meiner Erfahrung nach nur noch in den Metropolen.

Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 25.06.2016, 13:26:05

Hallo an alle Mitleser!


Auf ein fachliches (Beratungs-)Gespräch das nicht immer nur gezielt gewollt sondern vielleicht auch nur beiläufig beim Besuch des Geigen- oder Bogenbauers oder eines anderen Fachmanns abläuft, will ich auch in Zukunft nicht verzichten. Bei solchen Unterhaltungen habe ich schneller und umfassender dazugelernt als es durch eigenes Probieren oder durch andere Informationsquellen möglich gewesen wäre. Das hat mir fast immer Zeit und Geld gespart und zu meinem Erkenntnisgewinn erheblich beigetragen.
Im oben durch Herrn Geigenbaumeister Adam geschilderten Fall der Beratung bei der Saitenwahl will ich jener eindimensional strukturierten, sich nur am Kaufpreis orientierenden Denkweise folgendes entgegenhalten:
Spätestens beim dritten Saitensatz den man mit der Hoffnung im Internet bestellt, damit (durch unsystematisches Herumprobieren) eine gewünschte Klangverbesserung seines Instruments zu erzielen, hat man mehr Geld ausgegeben, als wenn man mit seinem Wunsch nach Klangverbesserung sofort den Geigenbauer aufgesucht, und dort durch systematisches Probieren mit praktischer fachmännischer Unterstüzung die passenden Saiten gefunden und gleich beim Fachmann gekauft hätte. Bei erfolgreicher Beratung hat man zudem den unbezahlbaren Vorteil, daß man den gewünschten Klang auf seinem Instrument sofort zur Verfügung hat und nicht erst zufällig nach mehreren Wochen oder Monaten und einem Mehrfachen an Ausgaben. Kein Geigenbauer muß sich schämen um Beratung nachsuchende Kunden von vornherein auf diesen Umstand hinzuweisen. Der Kauf nach erfolgreicher fachmännischer Beratung ist in der Gesamtbilanz gesehen billiger!


Die in obiger Diskussion dargelegten Erscheinungen in Bezug auf den Musikalienzubehörhandel allgemein kann ich leider nur bestätigen. Von ähnlichen Vorgängen sind aber nicht nur der Handel sondern in anderen Bereichen auch Produktion und Entwicklung betroffen, was sich bereits jetzt nachhaltig negativ auf unsere Gesamtwirtschaft und Gesellschaft auswirkt. Wer sich in den letzten Jahrzehnten die Mühe machte Parteiprogramme und Regierungserklärungen zumindest zu überfliegen weiß, diese Entwicklung war bisher auch politisch so gewollt und ist nicht nur schicksalhaft eingetreten.


Wir sollten deshalb folgendes nie vergessen:
Als zahlende Kunden haben wir mit unserem Geld durchaus eine Einflußmöglichkeit.
Diejenigen die uns etwas verkaufen wollen werden sich immer an unseren Wünschen orientieren für die wir bereit sind zu zahlen. Wir sind nicht verpflichtet den Bemühungen von Marketingfachleuten zu folgen, die in uns Begehrlichkeiten oder Meinungen zu erzeugen versuchen die ausschließlich ihren Zielen dienen. Wir entscheiden als Gesamtheit mit unserem Verhalten wie sich der Markt gestaltet und welche Dienstleistungen sich weiter lohnen und welche nicht. Wir müssen uns daher verantwortungsbewußt gegenüber uns selber verhalten.
Um es mit einer Redewendung aus dem angelsächsichen Raum auf den Punkt zu bringen:
"Wenn dir die Nachrichten des heutigen Tages nicht gefallen, dann geh raus und mach selber welche!"


Internetkäufe lassen sich auf jene Fälle beschränken in denen man keine andere Möglichkeit hat und vorallem, wenn man genau weiß was einen erwartet. Trifft letzteres nicht zu, möchte ich die Ware vorher erst mal in die Hand nehmen um mir am Objekt ein Urteil zu bilden.
Wozu das gut ist, will ich an einem Beispiel erklären:
Verspricht mir ein Saitenhersteller z.B. eine Saite mit Brillianz und extrem leichter Ansprache und vom Verkäufer bekomme ich dann eine relativ dicke Seite die überdurchschnittlich steif ist in die Hand gedrückt, dann weiß ich schon bevor ich bezahlt habe, daß man die Versprechungen des Saitenherstellers in Bezug auf dieses Produkt nicht zu wörtlich nehmen darf.


Zur Preispolitik eines Saitenherstellers:
Als Betroffener habe ich die Modell- und Preisentwicklung der Violinsaiten u.a. bei Pirastro in den letzten Jahrzehnten  aufmerksam verfolgt. Im zurückliegenden knappen Jahrzehnt ist dabei in mir der Verdacht gewachsen, daß es dem weltweit größten Hersteller von Streich- und Zupfinstrumentensaiten gehörig wurmt, daß er nicht gleichzeitig auch der Hersteller der weltweit meist verkauften hochwertigen Violinsaiten mit Synthetikkern ist. Möglicherweise liefert das ein Motiv für jene verwunderliche Preisgestaltung für ein bestimmtes seiner Saitenmodelle mit Nylonkern die wohl dazu angetan sein soll den Markt aufzurollen. Um dieses "Dumping" wirtschaftlich gegenrechnen zu können, muß man mit hohen, möglicherweise überteuerten Preisen für andere Produkte ausgleichen. Um diese Produkte trotzdem attraktiv zu machen, werden sie mit Adjektiven wie "hochwertig" und "professionell" beworben und damit bewußt in den Fokus der Aufmerksamkeit und Begehrlichkeit gerückt. Zudem befeuern hohe Preise für solche Produkte die Qualitätsanmutung und die Erwartungshaltung potentieller Käufer und erhöhen so den Kaufanreiz zusätzlich.
Dazu paßt eine ironisch gemeinte Aussage aus einem anderen Thread hier im Forum:
"Und wenn der Satz mal über 100 Euro kostet, dann müssen die Saiten ja gut sein! :-)"

 

Denkt mal darüber nach.
Ein schönes Wochenende wünscht,
  der Stehgeiger
 

minuetto Profilseite von minuetto, 26.06.2016, 08:10:35
Lieber Stehgeiger,
ich habe etwas Mühe, wenn die Preise eines Unternehmens analysiert werden, sei dies von sachverständigen Außenstehenden oder von sog. Wirtschaftsexperten. Die Annahme, es ginge auch preisgünstiger hat leider meist den Verlust von regulären Arbeitsplätzen zur Folge (und davon abgesehen leidet auch die Qualität nicht selten von "Auslagerungen").
Bei der genannten Firma handelt es sich um ein deutsches Unternehmen, das, so hoffe ich (und davon gehe ich aus), alle seine Angestellten korrekt (und nicht Gewisse einfach im 400 € Lohn) entlöhnt sowie alle Steuern und Sozialabgaben entrichtet.
Dafür bin ich bereit, den Preis zu bezahlen, der von mir beim Geigenbauer gefordert wird (und der ist bei meinen Saiten sicher nicht besonders "günstig"). Die Preise eines Saitensatzes kenn ich nicht, kauf meine Saiten allerdings nicht als Satz. Ich hatte jedoch nicht den Eindruck, die Preise der Saiten seien in den letzten Jahren (im Vergleich zu andern Ausgaben) besonders/übertrieben gestiegen.
Gruß, minuetto
Aranton Profilseite von Aranton, 26.06.2016, 16:09:02

Wenn ein Hersteller wie Pirastro ein und dasselbe Produkt einer kleinen Geigenbauwerkstatt für 45,10€ verkauft und man sieht einem bei thomann derzeit 21,90€ kosten ist offensichtlich, dass die Preise nicht nur von den Herstellungskosten bestimmt werden. Es gibt in Deutschland Gesetze, die es verbieten, Waren unter ihren Herstellungskosten zu vertreiben (es gibt ein paar Ausnahmesituationen für Restbestände oder Mängelexemplare, aber da das gekennzeichnet sein müsste, können wir davon ausgehen, dass das bei den über thomann verkauften Tonicas nicht der Fall ist). Das heißt: Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, wissen wir dass die Herstellungskosten für Tonicas in Deutschland inklusive Soziabgaben und allem Pipapo unter 21,90 € liegen müssen; sogar deutlich, weil der Preis nicht nur für thomann definitiv und für Pirastro vermutlich auch eine Gewinnspanne her gibt. Wenn von Geige ein Preis verlangt wird, der mehr als doppelt so hoch ist, wie der, den thomann bekommt, wirkt Marktmacht ausgenutzt, um zu Lasten schwächerer Marktteilnehmer die eigenen Gewinne zu steigern. Und wenn es um derartige Größenordnungen geht, finde ich solches Geschäftsgebahren nicht okay, und der Umstand, dass in Deutschland produziert wird, rechtfertigt es kein bisschen.

Geige Profilseite von Geige, 26.06.2016, 18:18:32

@Aranton die 45,10€ sind nicht der Preis, zu dem ein Geigenbauer die Saite verkauft. Es ist der Preis, den der Geigenbauer an den Hersteller  bei Abnahme eines Satzes im Einkauf bezahlt. Das Preisstaffelprinzip ermöglicht solche Preise der Vielverkäufer, ruiniert  jedoch die Wirtschaftlichkeit kleinerer Geschäfte. Ein kleiner Laden legt sich nicht größere Mengen hin um keine veralteten Sachen anzubieten.

Bei mir ist es so, dass ich nur aufgrund der vielen Hundert Mietinstrumente auch größere Mengen an Saiten bestelle und somit Plusminus 0 halbwegs mithalten kann. Spaß bringt das jedoch nicht.

Aranton Profilseite von Aranton, 26.06.2016, 20:00:48

Dass 45,10€ der Einkaufspreis des Geigenbauers sind, habe ich doch geschrieben. Aber die Crux meines Beitrage war ja weniger der Preis als die Feststellung, dass eine Preisstaffelung mit derart großen Unterschieden meiner Ansicht nach in den Bereich unfairer Geschäftspraktiken fällt. So unfair, dass man sich meiner Meinung ernsthaft fragen sollte, ob man überhaupt noch auf Produkte von Pirastro zurückgreifen sollte. Eine so krasse Preisstaffelung wirkt schon fast wie ein Versuch Pirastros, den lokalen Einzelhandel bewusst auszubooten. Dabei sollte man meinen, dass ein Hersteller mit einem so breiten Sortiment besonders profitiert, wenn es beim Verkauf eine Beratung gibt...

Dass ich aufgrund meiner miesen Erfahrungen kein Geld mehr im Musikhaus vor Ort lassen will, bedeutet ja nicht, dass ich solches Raubritterbenehmen seitens eines Herstellers gut finde. Ich hoffe für den Einzelhandel, dass andere Hersteller mit ihrer Preisgestaltung nicht ganz so unfair sind. Nur Kundenschelte ist in der Situation fehl am Platz. Ein gewisser Preisaufschlag für Beratung bzw. sofortige Verfügbarkeit im Laden ist ja gerechtfertigt. Aber für einen Satz Tonica im Laden 75,80 € zu bezahlen, den man im Internet für zwanzig bis dreißig Euro findet, ist aus Kundensicht entschieden zu happig.

mike1973 Profilseite von mike1973, 26.06.2016, 21:09:05
Ist die Preispolitik der anderen Hersteller auch so katastrophal?
Nuuska Profilseite von Nuuska, 26.06.2016, 21:17:11

Schon beantwortet, die Antwort war "nein". Allerdings, welche Hersteller es okay machen wurde noch nicht ausgebreitet.

sofie Profilseite von sofie, 26.06.2016, 21:29:48
Ich spiele die PI Saiten von Thomastik. Hier ist die Preisdifferenz von irgendwelchen online-Angeboten zum Kauf beim Geigenbauer recht gering. Ich weiß allerdings nicht, ob und wieviel der Geigenbauer daran verdient.
Nuuska Profilseite von Nuuska, 27.06.2016, 00:10:51

Thomastik-Infeld ist hierzulande schon lange als verantwortungsbewusster Arbeitgeber bekannt. Was auf eine insgesamt solide Unternehmenskultur schließen lassen könnte. Wäre jedenfalls schön.

Also Leute, fehlt nur noch das Placet von Herrn Adam, dann können wir ruhigen Gewissens (in meinem Fall weiter) auf österreichische Markenqualität setzen?   ;-)

Geige Profilseite von Geige, 27.06.2016, 08:04:56

@aranton sorry, das war mein Lesefehler, Es war mit dem Einkaufspreis richtig geschrieben 7.

für 75,80€ wird der Satz ja auch von kaum jemandem verkauft. Den Ruf des Halsabschneiders bekommt man ja schon bei einem Preis von 48,-Euro im Verkauf. 

 

@sophie Der Satz Thomastik PI mit Platin E-Saite steht bei GEWA mit UVP 135,-€ drin. Thoman verkauft ihn bereits für 76,90€ inkl. Versand. Um sich nicht in die Position des Halsabschneiders zu manövrieren, wird vom Geigenbauer dieser Bereich mitlerweile  als Durchlaufartikel angesehen. Schwierig wird es vor allem dann, wenn der Hersteller starke Staffelpreise anbietet und man bereits durch eine Nullnummer zum Halsabschneider wird. Da hört der Spass auf.

Zumindest versucht GEWA durch ein "Geigenbauer Special" die Kalkulationsgrundlagen bei einigen Artikeln nicht ins Minus rutschen zu lassen. So kann  der Geigenbauer bei minimaler Kalkulation sogar in einzelnenFällen ein Angebot erstellen, welches unter dem  Internethandel liegt. Das ist aber eher die Ausnahme.

 

Ich habe volles Verständnis dafür, wie Aranton schrieb: Es lohnt sich nicht für eine Stunde ins Auto zu setzen und dann für mehr Geld einen Satz Saiten zu kaufen. Die 1-Klickkaufmöglichkeit und die Ware ist am folgenden Tag im Briefkasten ist hier konkurrenzlos.


So jetzt habe ich zu diesem Thema erst einmal öffentlich genug herumgejammert. Vieles wurde ja auch bereits mehrfach gesagt. In den nächsten Tagen besucht mich der Produktmanager eines größeren Saitenherstellers. Mal sehen, ob es Lösungsmöglichkeiten gibt.


 

 

sofie Profilseite von sofie, 27.06.2016, 13:48:25
Ich zahle um die 85€ für G-, D- und A-Saite, wobei ich die D-Saite in der teureren Variante spiele. Gibt wohl auch eine günstigere. Die Platin-E nutze und kaufe ich nicht.
Ich fahre übrigens knappe 100km zum Geigenbauer, allerdings nicht um Saiten zu kaufen. Da ich eh ab und an zur Wartung dorthin fahren muss, nehme ich einfach gleich mal Saiten auf Vorrat mit. Ein halbes Jahr im Koffer hat noch nicht geschadet, und länger liegen sie nie.
Aranton Profilseite von Aranton, 27.06.2016, 14:37:43

Vielleicht wäre es eine gute Idee anzudeuten, dass man anstatt direkt beim Hersteller beziehen, selbst den Umweg über thomann (oder andere Internehändler) gehen könnte. Meines Wissens gibt es keine Verpflichtung für Einzelhändler, ihre Waren direkt vom Hersteller oder einem dezidierten Großhändler zu beziehen. Warum sollten sie es also tun, wenn ein Produkt bei anderem Händler so viel günstiger ist, als  Und ich habe mal kurz in die AGBen von thomann, dort heißt es ausdrücklich, dass Unternehmer genauso Kunden sein können, wie Endverbraucher. Und rein ökonomisch gesehen, wäre es - zumindest bei dem Tonica-Beispiel - eindeutig besser. Ob es so viel besser ist, dass die Verlustzone verlassen werden kann, kann ich nicht beurteilen, aber kleiner dürfte der Verlust allemal werden. Wenn der zu Besuch kommende Produktmanager dieses Kalkül in seiner Hierarchie nach oben weiter reicht, sollte das für den Hersteller Grund genug sein, seine Preisgetaltung zu überdenken. Und wenn nicht, ist er selber schuld, wenn Geigenbauer und andere kleine Einzelhändler anfangen, im Internet zu bestellen anstatt direkt beim Hersteller zu kaufen.

Geige Profilseite von Geige, 28.06.2016, 08:29:58

@Aranton Diese Lösung ist für mich keine Lösung.

Der Handel unterliegt ja einem Wettbewerb. Die Ausgangsvoraussetzungen sind gleich: beide treten  an den Endverbraucher  heran.

Wenn ich das einmal mit dem Sport vergleichen darf:

Hier würde ein 100 Meterlauf demnach so aussehen, dass der eine Teilnehmer erst starten darf, wenn der andere bereits im Ziel angekommen ist - oder sogar erst 10 Sekunden später. Das Verlieren ist also auf jeden Fall vorprogrammiert.

Auch wenn Pirastro Tonicasaiten gut sind, habe ich sie deshalb nicht mehr im Vertrieb und verweise auf den Internethandel.

Ich lasse mich auch nicht vom Hersteller zwingen größere Stückzahlen abzunehmen um gleiche Ausgangsvoraussetzungen zu haben und dann die Saiten an Leute verkaufen zu müssen, die eigentlich gar keine haben wollen. Denn auch so kann man seinen Laden/ Ruf ruinieren. Dann lieber damit, dass mir nachgesagt wird - hier gibt es nicht alles.

Aranton Profilseite von Aranton, 30.06.2016, 14:49:00

Die Idee war weniger, tatsächlich bei thomann zu kaufen, sondern die Hersteller - bzw. deren Vertreter auf diese Möglichkeit hinzuweisen und so zu signalisieren, dass man sich seiner Marktmacht bewusst ist. Ein einzelner Geigenbauer kann da wenig ändern, aber was wäre wohl bei Pirastro los, wenn massenhaft Außendienstmitarbeiter berichten: "Mir laufen die Kunden weg, weil sie nicht einsehen, bei mir zu bestellen, solange es bei thomann die Hälfte kostet"?
Der Vergleich mit dem Sport hinkt, weil es mit der Idee nicht beim Hersteller sondern bei der Konkurrenz zu kaufen, nicht darum geht zu gewinnen, sondern darum, aus einer besch...eidenen Situation das beste rauszuholen. Bzw. auf den hundert Meter Lauf übertragen: Man sucht sich die Rennen aus, bei denen man am wenigsten schlimm benachteiligt ist. Dass man thomann nicht unterbieten kann, wenn man bei thomann einkauft ist klar, aber thomann ist nicht das Problem. Die Preisdisktriminierung der Hersteller ist das Problem. Und die werden sie nicht ändern, solange der Einzelhandel sich das bieten lässt.

Tonicas wegen der Preispolitik Pirastros komplett aus dem Sortiment zu nehmen, ist natürlich die konsequenteste Vorgehensweise. Aber wie viel bleibt vom Sortiment übrig, wenn konsequent alles gestrichen wird, was der Einzelhändler über thomann billiger als über den Hersteller beziehen könnte? Tatsächlich bei thomann zu bestellen anstatt nur damit zu drohen wäre da sozusagen letzter Ausweg, um Verluste zu minieren, die unumgänglich sind, weil es sich ja nicht ganz vermeiden lässt, Saiten umzuschlagen (und es für die Ausstattung von Mietinstrumenten).

Geige Profilseite von Geige, 25.06.2016, 17:22:49

@minuetto Auch ein Schuh, der für 800,-€ gekauft wurde kann drücken. Das lässt sich im übertragenen Sinne auch auf den Instrumentenmarkt übertragen. Der Hersteller muss nur durch entsprechendes Marketing eine Begehrlichkeit erwecken, die auf der anderen Seite durch den Geltungstrieb des Käufers gestützt wird.

Eine faire Beratung sollte deshalb immer einem Blindtest standhalten. Da kann auch mal der über 100,-€ Geigensaitensatz passen, muss aber nicht zwangsläufig

Da Instrumente individuell reagieren, ist ein Probieren notwendig. Da kann normalerweise ein objektiv beratender Geigenbauer auf eine gewisse Erfahrung zurückgreifen, die er dann an den Kunden weitergibt. (Von den Angaben in Werbebroschüren halte ich nicht viel)

Um als Geigenbauer jedoch einen solchen Erfahrungswert zu bekommen, ist die Auseinandersetzung mit diesem Thema Voraussetzung. Die gegebenen wirtschaftlichen Knüppel  erschweren dem Händler jedoch dieses Erlernen.

In unwirtschaftlichen Bereichen wird außerdem schnell das Interesse über Bord geworfen.

Leutarius Profilseite von , 28.06.2016, 18:50:12

Ein in Italien von zwei Brüdern  in Handarbeit hergestellter Satz historischer Schafdarmsaiten (Ein Luxusartikel!) kostet den Endverbraucher 53 - 60€.

(Preis von Doppellänge (120cm) auf einfache Länge (60cm) heruntergerechnet. Der teurere Betrag beinhaltet eine von Hand mit Silberdraht umwickelte G-Saite.)

 

Ein Massenprodukt wie z.B. Pirastro Obbligato soll € 138,30 kosten?

 

Die PR-Schlacht der großen Saitenfirmen möchte ich als Endverbraucher nicht bezahlen müssen. Da lobe ich mir die historische Aufführungspraxis, die ist nämlich auch noch HIP!

(HIP = Historical Informed Performance - oder nach Duden: auf dem Laufenden; zeitgemäß )

 

Geige Profilseite von Geige, 01.07.2016, 11:35:46

@Aranton Die von Pirastro verfolgte Politik zielt aus verwaltungstechnischen und Kosteneinspargründen schon seit längerem darauf hinaus, keine Kleinmengen  an den Einzelhändler zu versenden. Diese Politik wird schon seit Jahren durch Mindestbestellmengen verfolgt, die für den Einzelhandel teilweise nicht umsetzbar sind. Die Außendienstmitarbeiter wurden schon vor vielen Jahren wegrationalisiert. Da die Saiten von der Qualität her gut sind, finden sie den Weg zum Endkunden egal über welchen Weg. 
 
Was ist das jedoch für eine Politik, den Satz Tonica Violinsaiten mit 75,80€ in den Katalog zu setzen der mit einem Thomanpreis von 21,90€ verkauft wird. Soll da der Musikalienhändler vor Ort dem unwissenden Kunden das ultimative Schnäppchen mit 48,-€ vorgaukeln ¿?¿  Das ist doch Blödsinn und ein Grund für mich, diese Saite nicht im Sortiment zu haben. Ein viel größeres  Problem sehe ich vor allem darin, dass diese eklatanten Preisspannen in den Köpfen der Endverbraucher übertragend hängen bleiben, obwohl das bei weitem nicht überall zutrifft.
D'Addario Saiten z.B. differieren zwischen UVP und Internetpreisen etwa um 20%, wie meine kurze Recherche ergab. Das halte ich für normal. 


Vor 2 Tagen war ein Saitenvertreter eines großen Herstellers (nicht P) bei mir in der Werkstatt. Er bestätigte, dass das Preisverhalten in erster Linie durch den Hersteller gezügelt werden muss. Die Internettransparenz erschwert jedoch diese Regulierung. Da muss nur ein Händler z.B. seinen veralteten Saitenfundus zu Minipreisen auf den Markt werfen und diesen nicht als solchen deklarieren. Schon befindet sich Vergleichbarkeit in arger Schieflage.

 

@Leutarius kleinere Hersteller sind da vielleicht weniger Anfällig.

 

peerceval Profilseite von peerceval, 03.07.2016, 14:35:01

Ich habe diesen Thread aufmerksam verfolgt. Und ich kann der eigentlich allen Beiträgen zugrundeliegenden Haltung so gar nicht zustimmen.

Im Grunde betrifft die Diskussion hier einen allgemeinen Wechsel. Unsere Kaufgewohnheiten ändern sich massiv, verursacht durch das Internetgeschäft. Heute besorge ich mir 90% aller Dinge über das Internet. Das betrifft, Bücher, Filme, Schuhe, Kleidung, Elektronik und Nahrungsmittel! Amazon, Gourmondo, BestSescret, Shoepassion etc. etc. sind meine alltäglichen(!) Begleiter. Vor 10 Jahren hätte ich noch gewschworen, dass es nie so weit kommen würde. Das einzige Relikt aus der alten Zeit ist mein REWE-Einkauf am Samstagmorgen. Und auch den gibt es nur noch, weil ich für meinen Gang um die Ecke weniger Zeit benötige, als für das Zusammenklicken beim Rewe-Online-Lieferservice.

Die Kehrseite ist, dass ich von einem physisch-realen Einkauf heute viel mehr als früher erwarte. Ich möchte ein Erlebnis: beim Ambiente, bei der Betreuung und beim Produkt. Ein Beispiel: etwa 1 mal im Monat gehen meine Frau und ich in die Frankfurter Kleinmarkthalle. Alles, was wir dort erstehen, besorgen wir normalerweise über den Querbeet-Lieferservice. Warum gehen wir trotzdem immerwieder dort hin? Weil es Spaß macht! Weil es schön ist, am Käsestand zu probieren. Weil es anregend ist, am Gemüsestand Phatasien zu entwickeln. Und weil das Gewschwirre der vielen anderen Kunden uns selbst beschwingt. Und dafür zahlen wir gerne mehr!

Warum schreibe ich das? Nun. Es verdeutlicht den allgemeinen Wandel: Mit dem Wachsen des Internet funktionieren die alten Geschäftsmodelle nicht mehr. Das reine Einkaufen, der reine Verkauf ist out. Wenn es um die kostengünstige(!) Lagerung(!) und bequeme(!) Lieferung(!) von Waren geht, sind internetbasierte Geschäfte unschlagbar. Warum soll ich, wenn ich einen neuen Satz Larsen-Saiten benötige, umständlich früher von meinem Arbeitsplatz weggehen (zu Lasten meines eigenen Gehaltes), um noch rechtzeitig einen Umweg über den Geigenbauer zu machen, wenn mich die Bestellung bei Paganino höchstens 10 Minuten kostet? Und warum sollte Larsen seinen Vertrieb über Paganino einstellen, wenn das Verfahren mir als Kunden doch offensichtlich Vorteile bringt?

Oder anders gewendet: Der Kunde geht vor! So funktioniert Wirtschaft!! Geschäftsmodelle müssen darauf ausgerichtet sein, sonst scheitern sie. Jeder rückwärtsgerichtete Kampf gegen die 'Modernisierung' schädigt letztlich nur den Kämpfenden.

Was ist die Alternative? Jeder Beteiligte muss sich neue Geschäftsmodelle ausdenken. Warum kann der Gang zum Geigenbauer nicht zum Erlebnis gemacht werden? Warum kann ich nicht mit einem im Internet gekauften Saitensatz zum Geigenbauer kommen und ihn vom ihm aufziehen lassen? Natürlich ist das dann kein Inklusivservice. Das weiß ich. Gute Arbeit soll gut bezahlt werden. Auch wenn es um die Einrichtung 'im Internet erstandfener chinesischer Billiggeigen' geht. Der Wert der handwerklichen Arbeit wird wesentlich durch die Selbsteinschätzung der Geigenbauer bestimmt! Solange sie selbst ihr Tun - sozusagen als Give-Away - als eigentlich unwertige Zusatzleistung betrachten und den Geigenkauf als das Wichtige, wird auch kein Kunde ihrem Tun und KÖnnen mehr Wert zumessen!! Und ja: auch für das gekonnte Aufziehen der Saiten - um so etwas Triviales zu nehmen, wie Käse in der Kleinmarkthalle - bin ich bereit, extra zu zahlen.

Und noch etwas: Es ist so leicht, auf die großen Lieferanten und ihre Strategien zu schimpfen. Letztlich ist alles eine Kostenfrage: Wer große Menge produziert, hat - wenn er keinen besonderen Vertrieb organisiert - große Lagerkosten. Das Machen selbst ist nur einer von vielen Kostenfaktoren. Und es ist doch clever, die Lagerkosten gegen Null zu schrauben, indem man die Lagerung direkt an die Zwischenhänder 'outsourcet' und sich auf eine Just-In-Time-Produktion einstellt. Es ist doch Kokolores, von den Saitenproduzenten aus moralischen Gründen zu fordern, das sie das "Preisverhalten zügeln"! Das hieße doch nur, dass sie den Endkunden zugunsten des Zwischenhändlers mehr zahlen lassen sollen. Solche Forderungen hören sich gut an; sie funktionieren nur nicht.

Langer Rede kurzer Sinn: Liebe Geigenbauer, habt Mut zum Wandel. Wir brauchen Euch. Wir brauchen und wertschätzen Euch für das, was ihr tut und was ihr könnt. Und lebt mit dem Internet, nicht dagegen (weil: sonst werdet ihr untergehen).

Und Sie, lieber Herr Adam, machen das ja schon auf eine sehr gekonnte Weise! Dieses Forum ist ein Teil Ihrer Geschäftsidee. Lebte ich in Hamburg, wäre ich längst ihr Kunde. Aber indirekt funktioniert es auch so. Denn gefragt nach einem gutern Geigenbauer in Hamburg nenne ich zwei Namen, den von Herrn Osann, und ihren, lieber Herr Adam - wobei ich stets hinzufüge, dass ich Sie durch ihre Kommentare und ihre Internetpräsenz kenne und dass die von soviel Kompetenz zeugen, dass ich mich Ihnen ohne Vorbehalte anvertrauen würde.

Vielleicht ist also schon der eine oder andere Kunde über mich an Sie geraten. Und das ist dann nicht mein Verdienst, sodern Ihrer: dem Internet sei Dank.
 

Nuuska Profilseite von Nuuska, 03.07.2016, 17:58:39

Es wird wohl kein Geigenbauer etwas dagegen haben, etwas nicht zu verkaufen, womit er nichts verdient. Das Problem bleibt: wenn der Geigenbauer nicht mehr den Service bietet, Saiten lagernd zu haben, wird es schwieriger neue Saiten zu testen, bzw. wird er mit der Zeit auch seine Erfahrung und Expertise auf diesem Gebiet nicht mehr aufrechterhalten können.

 

Wenn Du es genießt, einmal im Monat in der Markthalle Käse einzukaufen, dann funktioniert das nur, solange es andere Leute gibt, die dort regelmäßiger und auch unter der Woche hingehen. Nur vom Samstagsgeschäft können die nämlich nicht leben, außer sie werden subventioniert wie ein Opernhaus oder ein Museum, oder aber sie machen ihren Käse dermaßen teuer, daß Dir auch das eine Mal im Monat der Appetit darauf vergeht.

 

Daß Lagerhaltung und Dispo bei einem Saitenhersteller mehr kosten sollen als die (durchaus nicht unaufwändige) Produktion?!? Also bitte!

 

Geige Profilseite von Geige, 03.07.2016, 18:41:28

Ein großer Fehler ist es als Anbieter dem Kunden sein Leid zu klagen oder ihn "Aufklären" zu wollen.

Das Thema, zu dem ich mich jetzt hier äußere, läuft normalerweise im Hintergrund ab und müsste (soll) den Kunden normalerweise nicht beeinträchtigen. 

Doch um ein "Einkaufserlebnis" bieten zu können unterliegt jeder Anbieter den normalen wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. Hier gibt es halt noch ein paar kleine Schieflagen, die irgendwie gerichtet werden könnten, damit auch der "vor Ort Handel" weiter funktioniert.  Da ich  bereits weiss, dass Händler/Hersteller diesen Thread mitlesen und mir dazu positives Feedback gegeben haben, fällt dieser Samen ja vielleicht nicht auf ganz unfruchtbaren Boden. (Die Hoffnung stirbt zuletzt;)
Ich habe volles Verständnis dafür, dass ein Vollbeschäftigter sich für einen Satz Saiten nicht den Samstag rauben lässt, eine Stunde ins Auto setzt und teurer seinen Einkauf tätigt. Auch kann ein Kunde seinen Einkauf auch aus sonstigen Zeitgründen im Netz gerne bestellen. Es geht mir hier nur um die Benachteiligung im Vorfelde. 

 

Der Verkauf einer E-Saite mit einem Klönschnack verbunden, kann für den Geigenbauer in der Masse sogar dazu führen, dass er sich aufs Land zurückzieht um den handwerklichen Arbeiten nachzukommen. Diese Seite der Medallie gibt es auch ;)

 

Der Wandel im Handel steckt noch in den Kinderschuhen und eine gewisse Wachsamkeit sollte beim Verkäufer, wie auch beim Kunden vorhanden sein, damit der sich auch zukünftig den hoffentlich nicht nur einmonatigen Wohlfühl-Einkauf gönnen kann 3

Ich Kaufe nach wie vor gerne vor Ort im kleinen Laden und richte sogar meine Zeit danach ein, liebe es jedoch gar nicht dort angemault zu werden ;)  Vielleicht bin ich ja auch ein aussterbender Dinosaurier.
 

Doch soviel Meckerei und Maulerei sei mir zu guter letzt doch -(jetzt aber zum letzten Male) -erlaubt:

ich finde es schade, dass mitlerweile der Saitenbereich (durch einige Hersteller) gezwungenermaßen soweit abgespeckt ist, dass eine Auseinandersetzung mit diesem interessanten Thema für mich als Geigenbauer zum Hobby geworden ist.

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