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E-Saite reloaded

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Nuuska Profilseite von Nuuska, 21.12.2016, 23:56:57
E-Saite reloaded

Nachdem ich schon ohne böse Absicht den "Carbon oder Holz"-Thread von EisRose vorübergehend gekapert habe und ihn nicht endgültig an die Wand fahren möchte, eröffne ich hiermit offiziell und feierlich den

 

(*Trommelwirbel*)

 

1001ten E-Saiten-Thread!

Ein Thema, das uns offenbar nie langweilig wird, und immer wieder findet sich jemand dem es wie ein Dorn im Zahnfleisch steckt. Diesmal bin also ich dran. Also Mund auf und Aaaahh...!

 

Kurz nochmal die Ausgangslage: Tolle Geige, Vision solo titanium GDA, Kaplan golden spiral solo Medium E, ganz großes Kino für einen Nichtschwimmer wie mich, aber ein bescheidenbraver Bogen, es muß ein neuer her - und mit den schönen Bögen die wirklich Spaß machen klingt die E-Saite auf einmal - immer noch okay, aber metallisch. Direkt ein wenig scharf. Und der stolze Besitzer ist ein neurotischer Geek und fühlt sein Seelenheil davonschwimmen. Herzlich willkommen in meiner kleinen Welt, glücklich wem andere Sorgen fremden...!

 

Liebe Asmahan, mit der aluminiumumwickelten Eudoxa hast Du mir tatsächlich einen gewaltigen Schritt weitergeholfen! Nach dem Aufziehen war der Unterschied zur Kaplan nicht sehr groß, aber nach nur 24 Stunden ist eine ordentliche Verbesserung da. Mein bisheriger Lieblingsbogen harmoniert zwar immer noch nicht, dafür habe ich einen netten deutschen Silberbogen mit vertretbarem Preisschild gezogen, der wirklich schön in dieses Setting paßt. Es ist noch einiges an Luft nach oben, aber meine Zuversicht kehrt wieder :-)

Die anderen beiden Empfehlungen (Pirastro No.1 und Jargar dolce) haben die Lage eher eskalieren lassen, die habe ich gleich wieder angerupft...

Aber wie sofie völlig richtig meinte, so teuer sind die E-Saiten ja nicht, somit ist das kein Beinbruch.

 

Hat noch jemand Vorschläge für meine wachsende E-Saitensammlung? Oder Erfahrung mit Westminster, Goldbrokat (Gold? Brassed?), Pirastro Gold (ja ich weiß, ist eine stahlumwickelte Darmsaite - was macht DAS wieder für ein Faß auf...?!), Warchal Amber, oder vielleicht dem Larsen-Spezialitätenkabinett? Bin für alle Anregungen dankbar, dafür halte ich euch auf dem Laufenden! (Und wer mag darf am Schluß vielleicht meine Saitensammlung streicheln....)

 

Liebe Grüße, Nuus.

minuetto Profilseite von minuetto, 22.12.2016, 07:00:58
Lieber Nuuska
bitte einfach als Info (und nicht als Besserwisserei auffassen), Pirastro Gold ist eine Stahlsaite http://www.pirastro.com/public_pirastro/pages/en/Gold-00006/; habe diese E-Saite jedoch nie gespielt (hatte vor der Kaplan lange die Pirastrp Oliv E (eine Goldstahlsaite), war damit jedoch nicht sehr glücklich).
Pirastro chorda hat hingegen eine blanke (also nicht-umsponnene) Darm-E-Saite http://www.pirastro.com/public_pirastro/pages/en/Chorda-00008/
umsponnene Darm-E-Saiten gibt es mW nicht im Handel.
Gruß, minuetto
 
kleine Klammer zu den blanken Darmsaiten (einfach als Info gedacht, hoffe, Du nimmst es mir nicht Übel, möchte den Thread keineswegs zerschießen oder eine Debatte zu (blanken) Darmsaiten beginnen)
Seit einiger Zeit benutze ich die Chorda E-Saite (ohne Feinstimmer). Die Ansprache scheint mir gut, auch in den hohen Lagen. Einziger Nachteil: die blanken Saiten sind nicht ganz glatt; daran musste ich mich erst etwas gewöhnen und die Spieltechnik etwas anpassen (Lagenwechsel).
Blanke Darm-Saiten können je nach Instrument durchaus zusammen mit umsponnenen Saiten aufgezogen werden (hab auf der Geige nur die E-Saite von Chorda, vielleicht schau ich mir dann auch noch mal deren A-Saite näher an; auf der Bratsche hab ich nur die A-Saite von Chorda; da gefiel mir die D-Saite nicht auf meinem Instrument) - und, diese Saiten scheinen mir auch für den Normal-Laiengebrauch "orchestertauglich" (fiel in meinem Fall gerade mal dem Pultnachbar auf, dass ich keinen Feinstimmer mehr hab, wir spielen eher wenig Barockmusik).
Nuuska Profilseite von Nuuska, 22.12.2016, 11:11:17

Lieber Minuetto,

 

herzlichen Dank für den Hinweis, Du hast natürlich völlig recht. Was lernen wir daraus? - Nicht nach den ersten beiden Zeilen zum Lesen aufhören. Korrekturen sind herzlich willkommen, will ja keinen Stuss verbreiten...

asmahan Profilseite von asmahan, 22.12.2016, 09:37:07

@ Nuuska: Freut mich, dass sich der eine Tip bewährt hat. Die Eudoxas (mit der möglichen Variante der Brillant für G und D) sind an sich meine Lieblingssaiten, mit Ausnahme des etwas tückischen A. Dass bei jener Geige (die ich dann nicht gekauft habe), das Jargar-E sich besser bewährte, hat mich erstaunt, aber die Damen haben eben ihre Launen...

Nuuska Profilseite von Nuuska, 23.12.2016, 23:14:53

Wie wahr! Und irgendwie finde ich es schon auch schön daß es bei diesen doch eigentlich relativ simplen Holzkästen so viel gibt das man nicht vermessen und vorhersagen kann, sondern was nur zu erahnen, probieren, erfahren ist. Sehr romantisch, nicht? - Und außerdem, wozu gäbe es dann diese online-Foren...   4

 

Nicht daß wir es mit den Herren Bögen so viel einfacher hätten, wenn Du mich fragst...

Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 26.12.2016, 14:41:00

Frohe Weihnachten, Nuuska!


Zu Deinem "E-Saitenproblem" fällt mir folgendes ein:


1. Kolophonium:
Du schreibst, daß Du derzeit verschiedene Bögen zur Probe hast (und ich impliziere, daß Du deinen bisherigen, gewohnten Bogen als Referenz verwendest). Die zur Probe geliehenen Bögen sind vermutlich nicht mit Deinem gewohnten Kolophonium eingerieben (wie Dein "Referenzbogen"), sondern von verschiedenen Lieferanden mit verschiedenen Dir unbekannten Kolophonien, die sich in der Haftfähigkeit mehr  oder weniger von Deinem gewohnten Kolophonium deutlich unterscheiden können. Das hat Auswirkungen auf Klang- und Spieleigenschaften der Bögen. Um reproduzierbare Testbedingungen herzustellen, würde ich die Bespannung der in die engere Wahl gekommenen Bögen nach der von Herrn Geigenbaumeister Adam empfohlenen Methode in Spiritus auswaschen und nach dem Trocknen mit Deinem gewohnten Kolophonium einreiben. Möglicherweise relativiert das Dein E-Saitenproblem.


2. Kontaktpunktproblem:
Mit Kontaktpunkt bezeiche ich den Berührpunkt der Bogenbespannung und der Saite.


Man hat eine bestimmte Klangvorstellung. Wenn man ein Instrument anspielt, versucht man unbewußt dieser Klangvorstellung so nahe wie möglich zu kommen. Auf der Violine geht das u.a. durch unmerkliches Verschieben des Kontaktpunktes entlang der Saite. Dadurch macht man den Klang weicher oder schärfer, lauter oder leiser, dunkler oder klarer. D.h. mit unterschiedlich klingenden Bögen wird man jeweils an unterschiedlichen Kontaktpunkten auf dem selben Instrument spielen. Prüf das vor dem Spiegel nach, nachdem Du alle Bögen mit dem gleichen Kolophonium versehen  hast. Achte dabei darauf, daß Du auf jeder Saite genau den gewünschte Klang erzeugst. Wenn klar ist wohin Du den Kontaktpunkt bei welchem Bogen legst, spiel mit den "neuen Bogen" die E-Saite am exakt gleichen Kontaktpunkt an, an dem Du mit Deinem bisherigen Bogen gespielt hast. Welche Auswirkung hat das auf den Klang der E-Saite?


Konnte Dich die Verwendung des gewohnten Kolophoniums und die Verschiebung des Kontaktpunktes Deiner bisherigen Klangvorstellung für die E-Saite wieder näher bringen? Wenn ja, dann wechsle an dem gefundenen Kontaktpunkt von der E- auf die A-Saite. Wie klingt die A-Saite am Kontaktpunkt auf dieser Höhe? Vermutlich nicht erwartungsgemäß. Du benötigst daher eine A-Saite, die auf der gleichen Höhe des Kontaktpunktes auf dem die E-Saite den gewünschten Klang erzeugt ebenfalls den gewünschten Klang hat, so daß beim Wechsel von der A- auf die E-Saite und zurück die Kontaktpunkte mit dem gewünschten Klang auf gleicher Höhe liegen. Ansonsten muß nach jedem Saitenwechsel die Bogenführung korrigiert werden. D.h. je nachdem ob der "richtige" Kontaktpunkt auf der E-Saite über oder unter dem bisherigen liegt sollte man eine härtere oder weichere A-Saite verwenden.


3. E-Saitenwahl:
Man kann das Problem auch durch eine härtere oder weichere E-Saite beheben. Beim Vision Titanium Solo Saitensatz ist man aber angeschmiert, weil man den nur in einer Stärke bekommt. Um die Stärke zu ändern muß man ein anderes Saitenmodell wählen, das aber auch einen anderen Klangcharakter hat. Auf diese Weise wirst Du nicht mehr genau zum vorherigen Klang zurückfinden.
Die Vision Titanium  Solo gehört mit ihren 8 kp Zugspannung schon zu den härteren Saitenmodellen. Der Zusatz "Solo" in der Benennung weist darauf hin.
Die alu-umsponnene Pirastro Eudoxa E ist mit 7,7 kp Zugspannung spürbar weicher. Umsponnene E-Saiten klingen allgemein etwas "weicher". Wenn dadurch eine Verbesserung erzielt wurde, solltest Du weiter in Richtung weicherer Saiten gehen. Daraus folgt: vermutlich ist alles was gängigerweise von Solisten als E-Saite verwendet wird für Deine Ohren zu scharf und zu "metallisch". Darunter fällt das meiste was Du an E-Saiten aufgezählt hast. Du solltest mehr im Bereich kammermusik-tauglicher Saiten suchen.


Zu den Pirastro E-Saiten:
Ein Blick auf die Webseite
http://www.pirastro.de/public_pirastro/pages/de/E-Saiten-Programm/
schafft Klarheit unter welchen illusteren Namen ein und derselbe Draht verkauft wird. Es wäre also müßig den selben Draht lediglich unter anderem Namen nochmal zu kaufen, nur weil der so benannte Saitensatz als "dunkel", "weich" oder "warm" beworben wird.


Wenn das alu-umsponnene Eudoxa E klanglich ein Schritt in die richtige Richtung war , kannst Du mit dem alu-umsponnenen Tonica E in weicher Ausführung einen weiteren Schritt in diese Richtung gehen. Mit einer Zugspannung von von nur 7,0 kp ist das eine recht weiche E-Saite. Auch die blanken Tonica E-Saiten sind vergleichsweise weich, im Klang nicht scharf sonder süß und in den Zugspannungen sehr eng abgestuft, so daß man den Klang durch die Stärkenwahl fein abstimmen kann.


Einen Versuch kann auch die alu-umwundene Version der E-Saite des Thomastik Dominant Saitensatzes wert sein (Typbezeichnung 130 bzw. 130MS). Mit den Zugspannungen 6,6 kp, 7,2 kp und 7,5 kp für weich, mittel und stark gehört  diese Saite auch zu den weicheren E-Saiten. Die alu- bzw. chromstahl-umsponnenen E-Saiten der Thomastik Spirocore (Typbezeichnung S8 und S9) und Super (Typbez. 8 und 9)  Saitensätze wären in den Ausführungen mittel oder weich ebenfalls mögliche Kandidaten.


Weitere Option könnten die für Stahlsaiten untypisch weich und warm klingenden Saiten von Corelli sein, siehe:
http://www.savarez.com/sites/default/files/public/kcfinder/files/Corelli.pdf


oder die alu-umsponnene Version der E-Saite D'Addario Helicore:
http://www.orchestral.daddario.com/Orchestral ... ActiveID=4495&productid=98


Bei der Suche nach Deiner Lieblings-E-Saite stehen Dir also noch viele Möglichkeiten offen, denn obige Aufzählung ist längst nicht vollständig.


Viel Erfolg bei Deiner Suche!


Ich wünsche Dir und allen Mitlesern noch einen wunderschönen Weihnachtsfeiertag

 

Nuuska Profilseite von Nuuska, 26.12.2016, 22:25:48

Hallo Stehgeiger, frohe Feiertage auch Dir!

 

Schön daß Du Dich hier einschaltest. Deine Abhandlung über das Einschwingverhalten von Saiten aus einem anderen Thread habe ich noch lebhaft in Erinnerung.

Interessant, Tonica und Dominant hatte ich nicht am Radar. Werde ich testen, vielleicht schrittweise überhaupt als kompletten Satz. Leider machen nicht alle Hersteller Angaben zur Zugspannung, das würde die Sache ein wenig vereinfachen.

Momentan plagt mich schon wieder eine grundsätzliche Frage, vielleicht bist Du ja der richtige um sie mir zu beantworten...? Und zwar habe ich vorgestern die Goldbrokat Premium Gold aufgezogen, die mir mein GB als besonders warm empfohlen hat. Sie hat auch tatsächlich einen warmen süßen Klang, und optisch verbreitet sie ebenfalls ein wenig weihnachtliche Stimmung. (Angaben zur Zugspannung macht der Hersteller leider keine.) Für sich alleine gesehen finde ich sie also ganz schick. Unvorhergesehenerweise bilde ich mir nun aber ein daß sich die Gesamtanmutung auf den tieferen drei Saiten merklich verändert hat, es ist einiges an Klarheit verlorengegangen, vor allem im Piano. Im Forte kommt immer noch ein fokussierter kräftiger Ton, aber leise stinkt deutlich ab. Kann sein daß auch der Ortswechsel etwas damit zu tun hat, ich werde das morgen noch in gewohnter Umgebung gegenprüfen, für mich war es jedoch Anlaß genug ein wenig zu recherchieren, so gut es ging. Und da wird schon auch immer wieder berichtet daß die E erheblichen Einfluß auf GDA hat, allerdings nur anektotisch und ohne systematischen oder gar physikalischen Hintergrund. Hat das nun wieder lediglich etwas mit der Spannung zu tun, oder sind da noch weitere Variablen im Spiel?

Nuuska Profilseite von Nuuska, 26.12.2016, 22:33:56

Und, noch eine Frage: wenn sich nun durch den Wechsel einer Saite oder gar eines ganzen Satzes die Gesamtspannkraft des Systems erheblich ändert, ist dann nicht zu erwarten, daß die Klangeinstellung der Geige nicht mehr so perfekt ist wie zuvor?

 

Kolophonium wurde übrigens immer das gleiche benutzt - Bernadel ist bei den hiesigen GBs der Standard, und sehr weit habe ich meine Kreise bislang noch nicht gezogen... Allerdings bin ich mir nicht sicher wie begeistert sie wären, wenn ich anfangen würde ihre Bogenbezüge auszuwaschen... Gehört sich das denn?

Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 28.12.2016, 01:34:24

Hallo Nuuska!

 

Danke für Deinen freundlichen Wunsch.


Deine Beobachtung, daß sich beim Wechsel einer einzigen Saite zu einem anderen Saitenmodell oder gar einer Saite von einem anderen Hersteller der Gesamtklang des  Instruments verändert, ist schon richtig.
Die zu Grunde liegenden Ursachen will ich Schritt für Schritt erklären:


1. Unterschiede im inneren Aufbau und in den Materialparametern verschiedener Saiten sind verantwortlich für den unterschiedlichen "Klang" der einzelnen Saiten.


2. Wodurch der "Klang" bestimmt wird:
Wird eine bestimmte Note angestrichen, so schwingt die Saite in der Frequenz der Grundschwingung dieser Note und in den Oberschwingungen deren Frequenzen ganzzahlige Vielfache der Frequenz der Grundschwingung sind.  In der Musik werden diese Oberschwingungen auch als Obertöne bezeichnet. Die relative Lautstärke der Obertöne ist kleiner als die der Grundschwingung und zusätzlich ist die Lautstärke der unterschiedlichen Obertöne voneinander verschieden. Siehe auch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Harmonische
Die Kombination, man spricht auch von Überlagerung des Grundtons mit seinen Obertönen ergibt den "Klang" der angestrichenen Note.
Verändert man nun die relativen Lautstärken der einzelnen Oberschwingungen, so verändert sich der "Klang" der angestrichenen Note. Genau das passiert, wenn man eine Saite gegen ein anderes Saitenmodell austauscht. Die relativen Lautstärken der verschiedenen Obertöne werden verändert und das ist die Ursache für den "anderen Klang" des Saitenmodells.
Die gesamten Daten über die Frequenzen von Grund- und Obertönen sowie deren relative Lautstärken nennt man das Eigenfrequenzspektrum der angestrichenen Note. Das kann graphisch anschaulich in Diagrammen dargestellt werden. Zusammen mit Punkt 1. folgt daraus, daß jede Saite eines bestimmten Saitenmodells ein für sie typisches Eigenfrequenzspektrum hat.

 

3. Resonanz (vereinfacht beschrieben!): Hat man zwei Saiten die durch ein schwingungsfähiges Medium gekoppelt sind und versetzt nur eine davon in Schwinung, so kann dadurch auch die andere Saite verstärkt zum Schwingen angeregt werden, wenn sie so eingestimmt ist, daß sie mit der gleichen Frequenz oder mit der Frequenz eines der Obertöne der ersten Saite schwingen kann.
Diesen Effekt nennt man Resonanz.
 
4. Spielt man auf einem Saiteninstrument eine einzelne Note an, erzeugt also einen "Klang", so werden durch die Oberschwingungen aus den sich dieser Klang zusammensetzt, auf allen anderen Saiten, die Oberschwingungen mit denselben Frequenzen ausführen können, diese Oberschwingungen durch Resonanz angeregt. Anders (und ungenauer) gesagt, auch wenn man nur einen Ton auf einer Saite anspielt, schwingen die anderen Saiten in den Frequenzen mit, die sie selbst als Oberschwingung dieses Tons ausführen können. Diese zusätzlichen Oberschwingungen der anderen Saiten tragen zum Gesamtklang bei und verändern den Klang der angespielten Saite.


5. Verändert man an diesem System  nun etwas, indem man eine Saite gegen eine andere austauscht die ein anderes Eigenfrequenzspektrum hat, so können nun bestimmte Frequenzen aus der Obertonreihe nicht mehr (so laut) auf dieser getauschten Saite angeregt werden dafür kommen von anderen Obertönen lautere Beiträge als bei der vorherigen Saite. Der Beitrag dieser Saite zum Gesamtklang fällt anders aus und das ändert den Gesamtklang auch wenn diese Saite selbst nicht angespielt wurde.


Resumée:
Deine vergoldete E-Saite dämpft höherfrequente Obertöne stärker als niederfrequente. Das ist typisch für E-Saiten mit Goldbelag. Im forte oder mezzoforte ist die Lautstärke der höherfrequenten Obertöne jedoch noch groß genug, um sie wahrzunehmen. Im darunterliegenden Dynamikbereich sinkt die Lautstärke dieser Oberschwingungen jedoch unter die Wahrnehmungsgrenze. Damit erhälst Du den von dir beobachteten  Effekt: der Beitrag der E-Saite zum Gesamtklang nimmt im piano drastisch ab.
Da Du im Augenblick ohnehin ständig E-Saiten tauschst, kannst Du bei so einem Tausch dein Instrument auch mal ohne E-Saite anspielen und Dir so einen Eindruck verschaffen, welchen Beitrag die E-Saite zum Gesamtklang liefert.
 
Anmerkungen:
a) Der in 3. beschriebene "Resonanzeffekt" wirkt nicht nur auf die höheren Saiten die auf eine höhere Note als die angestrichene Note eingestimmt sind. Durch den Resonanzeffekt können auch Obertöne auf den tieferen Saiten angeregt werden. Dadurch beeinflußt auch der Wechsel einer tieferen Saite auf ein anderes Saitenmodell den Klang.
Will man wissen wie ein Saitensatz eines anderen Saitenmodells den Klang verändert, ist es meist ausreichend sich nur eine Saite aus dem anderen Saitensatz zu besorgen (ich empfehle die A- oder D-Saite) und diese aufzuziehen. Aus der Veränderung des Gesamtklangs durch den Wechsel der einzelnen Saite kann man auf die Veränderung des Klanges durch den kompletten Saitensatz zurückschließen und vorab entscheiden, ob der Wechsel die gewünschte Klangänderung erzielen wird oder nicht. Die Klangcharakteristik eines Saitensatzes sollte für die einzelnen Saiten (G-D-A) in etwa gleich sein. Die E-Saiten sind meist nicht so stark differenziert, da die Hersteller in verschiedenen Saitensätze oft identische E-Saiten verwenden.

b) Dein Problem mit dem "metallischen Klang der E-Saite" der sich mit dem neuen Bogen einstellt läßt sich so beschreiben:
Dieser "metallische Klang" kommt nicht von Deinem Instrument oder von der E-Saite selbst, denn dann wäre er mit jedem beliebigen Bogen erzeugbar der die Saite und das Instrument zum Schwingen anregt. Er kommt vielmehr von der Bogenstange deines neuen Bogens, die durch eine bestimmte Oberschwingung der E-Saite ihrerseits zu so einer hochfrequenten Oberschwingung angeregt wird, die Du als scharf und "metallisch" empfindest.
Das Problem kannst Du daher auf zwei Arten lösen:
I. Du verwendest eine E-Saite bei der gerade diese anregende Oberschwingung stark gedämpft und daher nicht so stark ist wie bisher, oder du verschiebst den Kontaktpunkt entlang der Saite wodurch die entsprechende Oberschwingung evtl. auch schwächer wird.
II. Du veränderst das Eigenfrequenzspektrum Deiner Bogenstage z.B. durch Verkleinerung oder Vergrößerung der Metalldrahtbewicklung so, daß diese hohe Oberschwingung der Bogenstange nicht mehr in Resonanz mit einer Oberschwingung der Saite treten kann. Du kannst mit "Bleiklebeband" wie man es für Tennisschläger verwendet Deine Bogenstange an verschiedenen Stellen testweise bewickeln, um herauszufinden, wo und wie der Bogen verändert werden muß.


c) Die Saitenspannung spielt bei der Veränderung des Eigenfrequenzspektrums einer Saite auch eine Rolle. Eine Saite mit hoher Zugspannung teilt sich wegen der höheren Rückstellkräfte und der meist höheren Seitensteifigkeit einer dickeren Saite nur unter erhöhter Energiezufuhr in höherfrequente Oberschwingungen auf. D.h. man muß sie stärker anstreichen. Die relativen Lautstärken der höherfrequenten Obertöne sind im Eigenfrequenzspektrum einer Saite mit hoher Zugspannung viel kleiner als bei einer Saite mit kleinerer Zugspannung und sonst gleichen Parametern. Das hat dann Auswirkungen auf die Reichhaltigkeit der Klangfarben des Instruments sowie seine Tragfähigkeit.

Nun zu Deiner Frage ob die Klangeinstellung  der Violine etwas mit der Gesamtspannung des Saitensatzes zu tun hat.
Das ist leider der Fall. Da die Zugspannung der Saiten nur auf einer Seite der Geige wirkt, wird das ganze Instrument durch die Zugspannung elastisch durchgebogen, so wie ein Bogen zum Verschießen von Pfeilen. Diesen Effekt kann man selbst leicht nachprüfen. Wenn man die E-Saite, die die stärkste Spannung hat abnimmt, streckt sich das Instrument wieder in eine etwas aufrechtere Form. Die Mensur wird dadurch um ein paar Zehntelmillimeter länger. Dadurch steigt die Spannung und damit die Stimmung der auf dem Instrument verbliebenen Saiten leicht an.
Diese Durchbiegung und der Druck des Steges auf die Decke verändern den Abstand zwischen Decke und Boden. Unmittelbar davon betroffen ist die Länge des Stimmstocks und damit die Kraft mit der der Stimmstock zwischen Decke und Boden eingeklemmt wird. Diese Kraft bestimmt  die Kopplungsstärke der Schwingungen von Decke und Boden.
Wenn das Instrument für einen Saitensatz mit hoher Gesamtspannung eingestellt ist und du wechselst auf einen Saitensatz mit geringerer Gesamtspannung, dann wird das Instrument weniger durchgebogen und die Decke weniger eingedrückt. Der Abstand zwischen Decke und Boden nimmt um eine Weniges zu. Dann wird der jetzige Stimmstock um ein Weniges zu kurz sein und die Kopplungsstärke leicht abnehmen. Schlimmer wäre der umgekehrte Fall.  Der Abstand zwischen Decke und Boden würde um ein Weniges abnehmen. Dann wäre der Stimmstock um ein Weniges zu lang und könnte anfangen Decke und Boden auszubeulen, was Stimmrissen Vorschub leistet.
Wenn Du in  nächster Zeit verschiedene Saitensätze mit deutlich unterschiedlichen Gesamtspannungen ausprobieren möchtest und dabei Dein Instrument immer optimal eingerichtet sein soll, kannst Du dir die Anschaffung von folgendem Stimmstock überlegen:
http://www.anima-nova.de/
Den kann Dein GB mit einem Werkzeug in der Länge anpassen, ohne daß er ihn aus dem Instrument nehmen muß. Auf Dauer spart das Zeit und Geld.

Zuletzt zu Deiner Frage zur Behandlung von geliehenem Material:
Bei dem Vorschlag den ich in Bezug auf das Auswaschen der Bespannung eines zum Probieren geliehenen Bogens machte, gehe ich davon aus, daß es eine Selbstverständlichkeit ist, daß man geliehenes Material mindestens ebenso sorgfältig behandelt wie das eigene, und daß man sich mit dem betroffenen Bogenbauer vorher darüber abspricht. Wenn man das beachtet, was soll dann passieren?

 

Ich wünsche Dir und allen Mitlesern noch einen schönen Tag!
 

Nuuska Profilseite von Nuuska, 28.12.2016, 09:16:15

Vielen Dank nochmal. 

Ich habe gestern noch die Probe aufs Exempel gemacht und mich mitsamt der Goldbrokat Premium Gold bewaffneten Geige wieder in die gewohnte Umgebung verfrachtet. Der Effekt hält an und ist auch nicht durch den Wechsel auf einen steiferen, angriffslustigeren Bogen behebbar. Ein neuerlicher Wechsel auf das Eudoxa Alu E, und alles ist gut.

Ich werde nun versuchen, mich in den nächsten Tagen selbst klanglich wieder ein wenig "einzunorden" und dann noch die von Dir vorgeschlagenen Tonica und Dominant probieren. Mal sehen, was eine weiter verringerte Spannung bringt. An der übrigen Besaitung und Klangeinstellung mache ich erstmal nichts, denn dazu gefällt mir das gegenwärtige Gleichgewicht einfach zu gut. Offenbar hat sich mein GB schon was dabei gedacht. (Und der nicht ganz belanglose Vorbesitzer ebenfalls...) Letztlich suche ich jetzt eine E-Saite, die sich in das restliche Setup ähnlich gut einfügt wie die Eudoxa, aber einen etwas steiferen (und trotzdem eher leichten oder höchstens mittelschweren) Bogen als meinen derzeitigen Favouriten zuläßt. Der ist nämlich leicht (56,5g) und weich, und neigt nicht nur recht zum Hüpfen (was noch egal wäre, muß ich eben meine Bogentechnik weiter verbessern...), sondern läßt sich auch gerade in der Mitte sehr leicht durchdrücken, was für die meisten meiner Lieblingskomponisten (Bach!) nicht ganz so tragisch ist, ihn als Alroundbogen den ich suche eher disqualifiziert. So schön er auch sonst ist. (Und sogar einigermaßen budgettauglich...) Aber wie ich auch sofie verstanden habe, ich muß wohl einfach so lange suchen und probieren bis es paßt. Zwingen läßt sich da wohl nichts...

Nuuska Profilseite von Nuuska, 28.12.2016, 09:29:34

Der adjustierbare Carbonstimmstock ist eine interessante Erfindung. (Und wirklich lustig ist, was mein Rechtschreibprogramm daraus macht: "Carbon Immatrikulationsbescheinigung Testung", was auch immer das heißen mag...) Kürzlich habe ich sowas mal in Irland gesehen. Aber mein GB hat's zur Zeit auch so schon schwer genug mit mir, ich glaube das laß ich erstmal außen vor...

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Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 29.12.2016, 10:01:53

Hallo Nuuska!


Noch ein wichtiger Nachtrag zu Deiner E-Saitensuche.


In Deinem ersten Beitrag habe ich überlesen, daß der Ausgangspunkt Deiner Suche nicht die Vision Titanium Solo E-Saite sondern die Kaplan Golden Spiral Solo medium tension (Typbezeichnung K420B-3) war.
Laut Hersteller Webseite
http://www.orchestral.daddario.com/Orchestral ... ctiveID=4495&productid=117
hat diese Saite eine Zugspannung von 7,5 kp (bezogen auf eine Mensurlänge von 32,5 cm).
[Hinweis:
Die von D'Addario angegebenen Werte für die Zugspannung werden bei einer Mensurlänge von 32,8 cm gemessen. Die mir bekannten europäischen Hersteller messen die Zugspannung bei einer Mensurlänge von 32,5 cm (dazu gehören auch alle die ich Dir in meinem ersten obigen Beitrag angegeben habe). Um die Zugspannungen vergleichen zu können, habe ich die Zugspannungswerte von D'Addario mit der von Brook Taylor gefundenen Formel auf die Mensur von 32,5 cm umgerechnet.
siehe dazu:
https://de.wikipedia.org/wiki/Saitenschwingung
]
Deine ursprünglich Kaplan E-Saite hat damit weniger Zugspannung (7,5 kp) als die im Augenblick von Dir favorisierte umsponnene Eudoxa E-Saite (7,7 kp). Damit ergibt sich auch aus physikalischer Sicht ein klareres Bild:
sowohl die Alu-Umspinnung/Goldbeschichtung als auch die  höhere Zugspannung führen zu stärker gedämpften Obertönen. Die goldbeschichtete Goldbrokat war offenbar ein zu großer Schritt in diese Richtung, die alu-umsponnene Eudoxa ist ein etwas zu kleiner Schritt (wenn ich Deine Äußerungen richtig verstehe).
Dann würde ich raten es mit der alu-umsponnenen Tonica mittel (7,8 kp Zugspannung) zu versuchen. Vieleicht dämpft die im Vergleich zur Eudoxa leicht erhöhte Zugspannung die stördenden Obertöne um genau das richtige Maß.
Die von mir auf Grund falscher Voraussetzungen zuerst empfohlene alu-umsponnene Tonica weich (7,0 kp) liefert Dir mehr und lautere Obertöne. Dein Problem wird dadurch voraussichtlich verschlimmert.
Bei den alu-umsponnenen Thomastik Dominant solltest Du es aus obigen Gründen zuerst mit der härtesten Saite (7,5 kp Zugspannung) versuchen. Die Zugspannung ist zwar vergleichbar zur Kaplan, aber die Saite eines anderen Herstellers hat i.d.R. ein anderes Eigenfrequenzspektrum. Wenn die Saite wie die Goldbrokat zu dumpf ist, kannst Du die mittlere Stärke probieren.
Interessant könnte auch noch die "Kaplan Golden Spiral Solo, Single Aluminum Wound E String, 4/4 Scale, Medium Tension (Typbezeichnung K301W)" (siehe obige Webseite von D'Addario) sein. Die ist zwar mit 7,3 kp Zugspannung weicher als Deine ursprüngliche Kaplan, aber die Alu-Umspinnung wird die höherfrequenten Obertöne deutlich wegdämpfen. Ob das reicht muß man ausprobieren. Wenn sie den gewünschten Klang bringt, würde sie vermutlich auch besser in das Besaitungskonzept Deines GB passen.


Wenn ich Deinen letzten Beitrag richtig verstanden habe, willst  Du jetzt ohnehin nicht bei dem "problematischen" Bogen bleiben. Wenn Dir der Klang der ursprünglich aufgezogenen Kaplan E gefallen hat, dann würde ich mir über andere E-Saiten vorerst nicht soviel Gedanken machen. Beim nächsten Bogen wird sowieso wieder alles anders.


Ich wünsche Dir und allen Mitlesern noch einen schönen Tag!
 

Nuuska Profilseite von Nuuska, 30.12.2016, 00:00:43

Lieber Stehgeiger,

 

Danke daß Du Dir solche Mühe machst. Ich weiß das sehr zu schätzen und kann im Rahmen meiner eigenen Kopflastigkeit tatsächlich einiges mit Deinen Ausführungen anfangen.

 

Mit meiner Eudoxa Alu E war ich nun schon drauf und dran, mir den netten leichten, aber für meinen Geschmack etwas gar weichen deutschen Silberbogen einzutreten. Ein Kompromiß, mit dem ich leben zu können geglaubt habe. Ich dachte mir, ein Holzbogen, der leicht und weich im Klang wäre müsse zwangsläufig eine eher weiche Stange haben. Gestern Abend durfte ich Bekantschaft mit einem Exemplar machen, das alles kann was ich mir bisher gewünscht habe, nur noch besser. Wow. Leicht, kräftig, spritzig, laufruhig, warm, und preislich beinahe im Rahmen. (Sozusagen im "Notfallsrahmen"...) Ich war gleich um ein paar Zentimeter größer und habe auf die ursprüngliche Kaplan Spiral Golden Solo (blank) zurückgewechselt - mir der Erkenntnis "Ach so war das gemeint...!"

Nur leider, einen kleinen Haken hat er: nämlich bereits einen Besitzer...

Aber wo es einen gibt, kann es auch mehrere geben. Das war nun etwas off-topic, aber unverhofft kommt eben oft, und zu den E-Saiten komme ich ggf. zurück wenn ich den Bogen gefunden habe. Dann wird vielleicht noch die Kaplan Golden Spiral Solo mit Aluwicklung ausprobiert. Nachdem ich schon mal zu sammeln angefangen habe... Und bis es soweit ist mit dem Patent auf den selbstspielenden Bogen versuche ich eben weiter es selber besser zu machen... Was sowieso nie das schlechteste ist!

bye

Vielen herzlichen Dank einstweilen euch allen und ein gesegnetes und resonantes Jahr 2017,

 

Nuuska (der Glückliche...)

 

 

Nuuska Profilseite von Nuuska, 16.01.2017, 22:09:06

... was weiter geschah...

 

(Grau ist alle Theorie! Oder: oft kommt es anders als man denkt. Wenn man es nur zuläßt. Und ein Glückspilz ist - wie ich...)

Ich habe - zugegebenermaßen auf gut Glück, der Preis war gut und der Bogen machte einen  zwar etwas abgerockten, aber irgendwie sympathischen Eindruck - von einem Musikerkollegen einen mittelalten französischen Silberbogen gekauft. Er wollte ihn los haben, irgendwie hätte er ihm die letzten Jahre nicht mehr so gut gefallen, keine Ahnung was er früher so an ihm gefunden hätte, wie auch immer. Er ist Profi, und der Bogen war zum Viertbogen abgestiegen.

Gar nicht das, was ich ansonsten eigentlich toll finde, weil schwer. 64g, da steckt ein schönes Stück Arbeit in jeder Übungsstunde! Aber er ist perfekt gewichtet, da spürt man die Gramme zumindest in den ersten 1-2 Stunden nicht ganz so. Und mehr Zeit hab ich eh selten...
Er ist kräftig, eher warm, liegt stabil in der Spur und neigt nicht besonders zum Hüpfen. Der Klang passte von vornherein sehr gut zu meiner  Geige (nach wie vor mit Eudoxa E und Vision Titanium Solo ADG), und schien erstmal einigermaßen mächtig, im direkten Vergleich mit meinen um 7-10g leichteren Favouriten dann aber noch nicht so weltbewegend. Irgendwie gedämpft, schien mir, vor allem auf der E-Saite, und bei schnellen Bogenwechseln, Stakkato usw. reichlich schwerfällig. Das sind wohl die 64g. Dachte ich mir. Aber um "wenig" Geld einen durchaus recht ordentlich spielbaren Bogen, der sogar noch von meiner Prinzessin akzeptiert wird - da wollte ich nicht nein sagen. Mal was zum Spielen haben, und dann such ich mir in aller Ruhe und ohne Streß einen tollen Bogen, den wahren und ewiglichen, überirdischen, selbstspielenden... So war er denn um 500 Kröten mein. Wahre Liebe sieht anders aus.
Nun saß er also schon mal in meinem Geigenkoffer, also hatte ich alle Zeit mich mit ihm zu beschäftigen. Ein wenig das Silber poliert, gar nicht so unhübsch. Aber neben einem um 10g leichteren Bogen sieht er schon recht gewichtig aus, beinahe schon bürgermeisterlich. Grazil ist anders. Auch der Bezug.  ----- Bezug?? Okay, kräftiger Bogen / kräftiger Bezug, soweit geschenkt - aber DAS, das ist ein Pelz!

 

Angesichts des Folgenden sei zu meiner Ehrenrettung gesagt, ich bin derzeit mit einem grippalen Infekt ans Haus gefesselt... Also. Ich hab's getan. Ich habe bei allen drei verfügbaren Bogen DIE HAARE GEZÄHLT!! Ha. Erstmal vorweg, ich selber habe wohl die wenigsten. Dann kommt der wundervolle Franzose (um 4,5k, den meine E-Saite nicht mag) von ca. 1910 mit 54,5 g und ca. 155 Haaren (ein paar hat er wohl ebenfalls schon lassen müssen).  Dann mein aktueller Liebling, der etwas zu weiche A.Nürnberger aus den 50ern mit 57g und 168 Haaren. Und dann, mein neuer französischer Mitbewohner aus den 60ern oder frühen 70ern mit 64 g und - 232 Haaren! Und teilweise ganz schön dicke! Mensch, kein Wunder daß der eine Bremse eingebaut hat...
Ich habe nun - auf  Etappen, immer schön schneiden und nicht reissen - auf inzwischen 197 Haare reduziert, falls ich mich nicht verzählt habe. Die ganze stangenseitige Haarreihe ist gefallen, und noch ein wenig mehr. Sind immer noch mehr als genug. Und zu meiner Überraschung ist der Bogen nicht ein wenig besser geworden, sondern ein kleines Wunder ist geschehen! Das Ding hat Power, es verbläst mir fast den Skalp. Offen, klar, kräftig, beinahe schon brachial. Dabei immer noch balanciert und warm. Will ich im Konzerthaus ausprobieren, oder wenigstens im Dom! Und die E-Saite, das ewige Problemkind, mutiert zu einem silbernen Gleissen. Kein bisschen schrill oder scheppernd. Kein Kreissägen mehr im Forte in den höheren Lagen. Aber es geht durch alle Wände! Die armen Nachbarn!

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(Ich glaube ich muß für meine Geige gleich die Versicherungsprämie aufstocken... Bevor mir das Ding in irgendeiner Weise um die Ohren fliegt...)

Und auch die physische Trägheit ist plötzlich praktisch futsch! Trotz der vermeintlich lähmenden Masse, keine Bremse mehr, und springen tut er wie ein Lämmchen. Wenn er soll.

Ich bin völlig fertig. Okay, ein Mozartbogen wird trotzdem keiner mehr draus, aber was soll's. Muß ja nicht. (Der kommt schon noch... 1 Aber jetzt ganz ohne Eile...) Nur, p und pp muß ich jetzt erstmal neu lernen.

 

Ihr alten Hasen werdet es schon wissen, für mich war das sehr lehrreich.

1. Sollte mir zukünftig plötzlich ein vormals geliebter Bogen nicht mehr gefallen, denke ich als erstes darüber nach ob er nicht vielleicht gerade beim Behaaren war...
2. Egal womit man gerne spielt, für einen alten Benzinbruder ist es immer gut zu wissen daß notfalls noch ein paar PS übrig sind!
3. Gesetzt die richtige Geige, die Saiten tragen ihr "Solo" zurecht.
4. Bogenphysik: auch die kräftigste Stange schafft es nicht, ein komplettes Winterfell in ordentlicher Spannung zu halten... Das dämpft nicht nur den Klang, sondern macht auch unbeweglich.
5. Bestätigung: der materielle Wert ist völlig zweitrangig - zusammenpassen muß es... Und: man sollte sich selber nicht immer ganz so wichtig nehmen. Die besten Entscheidungen trifft immer noch - die Geige?
 

sofie Profilseite von sofie, 16.01.2017, 22:31:08
sofie Profilseite von sofie, 16.01.2017, 22:34:54
Meine Freundin hat mit 11 ihren frisch bezogenen Bogen auch um einige Haare erleichtert um die La Campanella schneller spielen zu können. Mir wurde es dann unter Androhung der schlimmsten Übungen verboten es mit meinem Bogen auch zu probieren.
Da du dein Geld selbst verdienst finde ich es ehrlich gesagt nicht schlimm... "ducken und weg"
Nuuska Profilseite von Nuuska, 16.01.2017, 23:12:53

Hm. Liebe Sophie, und Du meinst nicht der wäre einfach zu warm bezogen worden beim letzten Service?  Ich bin da ja kein Experte, aber kürzlich habe ich da eine Blinddarmnarbe gesehen, mein lieber Spitz sag ich Dir, und man möchte meinen da waren auch die Profis dran...?!

Immerhin hatte ja auch der Vorbesitzer das Gefühl daß irgendetwas mit dem Bogen passiert wäre. "Und der Bezug ist auch noch recht gut" war aus seiner Sicht eine nicht unwesentliche Werbebotschaft. Früher war das sein bevorzugtes Arbeitspferd im Orchester für Romantik und Moderne, und vor ihm hat er seinem Vater (ehem. Stimmführer 2. Geige und ebenfalls Berufsmusiker im wesentlichsten Orchester des Landes mit endemisch-namensgebendem Romantikschwerpunkt) gedient, eine Gurke sollte er von daher nicht sein... Und es hat sich ja nicht bloß an der Trägheit was getan, sondern vor allem auch klanglich. Daß meine Geige was draufhat war mir schon auch vorher klar, aber jetzt... Ich sage nur, die Mauern von Jericho... (Nicht ernst nehmen mich bittschön!)

 

Morgen bringt ich das gute Stück zu meinem Freund dem Geigenbauer, mitsamt dem abgeschnittenen Zopf. Mal sehen was der meint. (Mach mal wieder dran, ey! Oder noch ein paar Haare dazurupfen, und damit einen kompletten 3/4-Bogen beziehen?)  Hoffentlich habe ich da kein unersetzliches Kulturgut geschändet?! Ich halte euch auf dem Laufenden und für mich schon mal die härenden Gewänder bereit...

sofie Profilseite von sofie, 16.01.2017, 23:32:47
Ich meine dass sich Vorlieben ändern... Auch bei Berufsmusikern. Mag sein, dass es der Geigenbauer mit der Haarmenge gut gemeint hat. Wenn es jedoch deutlich zu viele waren hätte es der Vorbesitzer vermutlich bemerkt.
Und nein, ich finde es überhaupt nicht schlimm. Hättest du an der Stange selber oder auch an Umwicklung oder Frosch herumexperimentiert, dann wäre es was anderes. Aber nur die Bogenhaare finde ich nicht schlimm. Auf die Idee muss man erstmal kommen.;-)
Nuuska Profilseite von Nuuska, 16.01.2017, 22:11:51

Bin bloß gespannt was passiert, sollte der Verkäufer ihn einmal zu hören bekommen... Nun, des einen Freud, ..

Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 17.01.2017, 07:58:18

Hallo Nuuska!


Zuerst meinen Glückwunsch zu diesem unerhofften "Schnäppchen" in Form eines neuen, offensichtlich passenderen Bogens.
Deine oben geschilderte Erfahrung ist mir nicht neu und wie folgender Artikel beschreibt, ist der Effekt auch für erfahrene Fachleute überraschend. Dort kannst Du auch über die Ursache dieses Effekts nachlesen:


http://www.gerbeth.at/Fachartikel_Weniger ist oft mehr.htm

.
Wenn Du mit dieser Deiner jüngsten Erkenntnis Deinen Geigenbauer konsultierst, solltest Du deshalb auch auf die Möglichkeit einer recht verständnislosen Reaktion gefaßt sein.


sophies Meinung in Bezug auf Experimente mit der Bewicklung der Bogenstange mag ich aus dem gleichen Grund (und aus eigener Erfahrung) nicht folgen. Es gibt keine Norm die festlegt wie eine Bewicklung aussehen muß. Jeder Bogenbauer wird das ob seiner persönlichen Erfahrung anders machen, was dann jeweils andere Auswirkungen auf den Bogen hat. Daher ist eine solche Bewicklung nicht sakrosankt. Zudem ist eine Veränderung sehr wohl reversibel.
Nach meiner Erfahrung wirkt sich die schwere Metalldrahtbewicklung auf die meisten Bögen klanglich wie spieltechnisch negativ aus. Sie stammt aus dem Zeitalter der Stahlsaitensätze das vor ca. 80 Jahren begann und zum heutige Tag bis auf einige Nischen z.B. in der Volks- und  Popmusik wieder vorüber ist. Davor gab es keine Metalldrahtbewicklungen an den Bogenstangen. Bei der Verwendung moderner Saiten mit synthetischem Kern ist sie nicht mehr notwendig und nicht zeitgemäß. Für Darmsaiten war sie ohnehin nie erforderlich. Bögen die vor der Stahlsaitenära gefertigt wurden, waren zudem für solche schweren Bewicklungen gar nicht konzipiert. Daher sind sie mit den nachträglich angebrachten Drahtbewicklungen manchmal überdruchschnittlich schwer, mit entsprechend negativen Folgen. Gegenwärtig geht der Trend ohnehin in Richtung leichterer Bögen mit einem Gewicht unter 60g und ich beobachte, daß mein Bogenbauer sowohl alte wie auch seine neuen Bögen immer häufiger mit Bewicklungen aus leichten Seidenfäden oder Silbergespinst versieht.


Zum Thema Metalldrahtbewicklung gibt es ebenfalls einen Artikel eines anerkannten Fachmanns, der über seine Entdeckungen beim Experimentieren mit den Bewicklungen nach eigener Aussage sehr überrascht war. Aber das und noch mehr kannst Du hier selbst nachlesen:


http://www.andreasgrutter.nl/bow-couch/strip-your-bow.html

.
Deshalb und aus den in meinem obigen Beitrag beschriebenen physikalischen Gründen bin ich mir ziemlich sicher, daß Dein bisheriger Bogenfavorit seinen "metallischen Klang" verlieren und an positiven Klang- und Spieleigenschaften gewinnen wird, wenn Du ihn von seiner Metalldrahtfessel befreist. Du hast ja nun gelernt, daß so ein Bogen nicht gottgegeben ist, sondern mit relativ kleinen Maßnahmen sehr wohl in seinen Eigenschaften verändert, angepaßt und verbessert werden kann.

Ich wünsche Dir gute Besserung und Dir und allen Mitlesern noch einen schönen Tag.

 

Nuuska Profilseite von Nuuska, 17.01.2017, 09:58:25

Mensch, Stehgeiger - was bist Du doch für eine coole Socke! Ketzer durch und durch, was? Das gefällt mir. Den Artikel von Thomas Gerbeth kannte ich schon, dachte bislang aber da würde auf etwas "höherem Niveau" lamentiert. Nun ja...

 

Die Sache mit der Wicklung war mir nicht klar. Ich meine, vom geschichtlichen Hintergrund her. Das werde ich noch weiter recherchieren, bevor ich die wohlverwahrten scharfen Gegenstände hervorkrame... Dachte immer, die Wicklung wäre integraler Bestandteil des Tourte-Modells und all seiner Varianten und Abkömmlinge. Spannend! Aber - müßte man dann nicht auch wieder auf ein Darm-E wechseln? devil_smile

Stehgeiger Profilseite von Stehgeiger, 17.01.2017, 12:30:30

Hallo Nuuska!


Tourte hat den metallenen Zwickel für den Bogenfrosch entwickelt, als eine von mehreren Maßnahmen wie u.a. dichteres Holz oder größere Bogenköpfe um das Bogengewicht zu erhöhen.
Das alleine reichte aber für die Stahlsaiten nicht mehr aus. Die wesentlich höhere Zugspannung der Stahlsaiten erforderte höheren Bogendruck und, um den Spieler zu entlasten, ein höheres Bogengewicht. Deshalb begann man Metalldraht als Bogenbewicklung zu verwenden. Als positiven Nebeneffekt dämpft dieses Zusatzgewicht auf der Bogenstange die hochfrequenten  Eigenschwingungen der Bogenstange und verhindert so, daß der ohnehin schon schärfere Klang der Stahlsaiten auch auf den tiefen Saiten zu scharf und schrill wird.
Die einzelne dünne E-Saite aus Stahl ist hier nicht das Problem. Die soll sowieso "brillant" und hell klingen. Da ist die Metalldrahtbewicklung der Bogenstange eher hinderlich. Wem es zu hell und brillant wird, der kann eine dickere Saite nehmen, die Saite mit Aluflachdraht umwickeln, mit Gold oder anderem Metall überziehen oder eben auf ein Darm-E zurückgreifen.


Wenn Du dich tatsächlich über die Drahtbewicklung des Bogens hermachen willst, dann beachte das was Bogenbaumeister Andreas Grütter am Ende seines Artikels "strip your bow" geschrieben hat, damit der Eingriff wirklich reversibel bleibt.


Als Ketzer sehe ich mich nicht. Aus Erfahrung habe ich nur gelernt, daß eine poentierte Formulierung meinem Gegenüber oft hilft einen Denkprozess zu starten, der sonst durch die Macht der Gewohnheit erstickt worden wäre (sehr zurückhaltend formuliert).
Ein Beispiel aus dem Bereich des Geigenspiels ist die Entwicklung der Bogentechnik die in Absatz 4 ff. des folgenden Artikels beschrieben wird, den Du vermutlich auch schon gelesen hast:


http://www.gerbeth.at/Fachartikel_Neuerungen.htm

.

Hier wurde eine Weiterentwicklung jahrzehntelang verzögert, nur weil keiner sich etwas Gegenteiliges zu sagen traute. Diejenigen die endlich die Konsequenzen gezogen haben und Änderungen durchsetzten, waren deshalb noch lange keine Ketzer - aus heutiger Sicht.

Ich wünsche Dir und allen Mitlesern einen schönen Tag.
 

Bavarica Profilseite von Bavarica, 17.01.2017, 14:58:00

Vielen Dank für die interessanten Beiträge und Links, nicht zuletzt auch zur Bogenbewicklung. Gibt es Angaben, wo Fischbein vom Gewicht her zu verorten ist? Ich hatte immer eine leichte Präferenz für Bögen mit Fischbeinumwicklung, ich fand immer, dass sie sich anders (und für mich besser) spielen als mit dem hierzulande üblicheren Silber.

Nuuska Profilseite von Nuuska, 17.01.2017, 16:05:15

Fischbein(imitat): jedenfalls leichter als die Metalldrahtwicklungen. Noch leichter ist glaub ich nur Silbergespinst, das dafür am wenigsten haltbar ist, vor allem wenn man die alte  Gewohnheit pflegt den Bogen situationsabhängig auch mal weiter vorne zu halten. (Die derzeit "gültige" Bogenstange gibts ja auch noch nicht so wahnsinnig lange...) 

 

Nun die Meinung des Geigenbauers: guter Spielbogen, Schnäppchen, Bezug immer noch grenzwertig dick... Vielleicht wollte er auch einfach nur nett sein c

Neuester Beitrag Nuuska Profilseite von Nuuska, 17.01.2017, 17:22:41

@ Stehgeiger: dann eben "Hirneinschalter und Rückbesinner"... äähm... wie war das mit Luther nochmal? Der wurde vom Establishment doch auch...? Na also. Ketzer!!

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